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Freitag, 12. Oktober 2012

Fotografische Erfahrung

1993

Diese Aufnahme ist fast 20 Jahre alt. Seitdem war ich nicht mehr in Paris, aber ich vermute, dass es dort noch genauso aussieht, wie damals. Wenn ich dieses Bild heute mit einer Digitalkamera machen würde, dann hätte ich eine große Auswahl an Kamerafunktionen, die es zu analogen Zeiten schlichtweg nicht gab, von Photoshop ganz zu schweigen. Die Möglichkeit, bei jedem Foto den ISO-Wert anzupassen, und selbst bei Kerzenlicht noch fotografieren zu können, ist heute so selbstverständlich, dass wir kaum noch darüber nachdenken.

Fotografieren ist nicht einfacher geworden, aber es geht schneller

Damals habe ich einfach nur fotografiert, mich auf die Bildgestaltung konzentriert, und vielleicht hier und da einmal eine Belichtungskorrektur gemacht oder die Messmethode verändert. Das war nicht so einfach wie heute, denn die Kamera hatte kein Einstellrädchen für Korrekturen. Man musste sich mit Belichtungszeit und Blende wirklich auskennen. Viele Fotos sind dann auch misslungen. Ob man alles richtig gemacht hatte, erfuhr man erst eine Woche nach der Reise, wenn man die entwickelten Filme aus dem Labor zurück bekam. Ganz schön frustig, keine Wiederholung möglich! Das erzeugte eine ganz massive Motivation, die Zusammenhänge beim Fotografieren wirklich zu lernen und anzuwenden.
Trotzdem hat dieser Lernprozess Jahre gedauert. Auch heute geht das Lernen weiter, denn die Kameratechnik und das ganze Drumherum entwickeln sich rasant.




Schneller lernen - ja, aber mehr!
Digital fotografieren bedeutet, dass wir mit unseren Versuch/Irrtum-Erfahrungen heute viel schneller voran kommen, weil wir sofort sehen können, ob das Bild gelungen ist. Es bedeutet aber auch, dass wir uns mit viel mehr technischen Details befassen müssen, während wir lernen. Die vielen Kamerafunktionen, das Navigieren durch verschachtelte Menüstrukturen und das Bildbearbeitungs-Knowhow, das wir uns aneignen (müssen), verdirbt vielen Einsteigern erst mal den Spaß am Fotografieren. Insofern ist es auch kein Wunder, dass oft nur mit den Automatikfunktionen oder mit dem Handy geknipst wird. Einen Vorteil haben die "Knipser" allemal: sie konzentrieren sich auf ihr Motiv, und das sollte beim Fotografieren eigentlich immer an erster Stelle stehen.

Alles zu kompliziert!?
Dass es mit der Automatik nicht immer so klappt, wissen wir. Und dann muss man eben doch anfangen zu lernen: Bücher lesen, Video-Tutorials gucken, Kurse besuchen. Dann wird der Frust oft noch größer, denn alles erscheint schwierig, anfangs klappt sogar noch weniger als mit der Automatik. Ich glaube das größte Problem des modernen Digitalfotografen ist nicht (allein) die Zähmung der widerspenstigen Technik, sondern die Erwartung, dass sich alle Geheimnisse der Fotografie über Nacht und wie von selbst offenbaren. Kann jemand, der ein Buch über das Tennisspielen liest, oder mal eine Stunde Unterricht genommen hat, in wenigen Tagen so gut spielen, wie Boris Becker?

Der Weg ist das Ziel: Gehen Sie Ihren eigenen
Selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, die viel beschworene "fotografische Erfahrung" von einer Person auf eine andere weiter zu geben, wäre den Empfängern dieser Erfahrung auch nicht gedient. Wollen Sie der Klon eines anderen sein? Das gleiche sehen, das gleiche fotografieren -  und die gleichen Dinge übersehen, die gleichen Fehler machen? Ich behaupte: Der Reiz des Fotografierens besteht genau in der Individualität, die Sie im Laufe Ihres fotografischen Werdegangs entwickeln werden. Zwischendurch brauchen Sie Erfolgserlebnisse, sonst geht die Motivation verloren. Diese kleinen Meilensteine können ganz unterschiedlich aussehen: viele "Likes" bei Facebook, anspornende Kommentare von anderen Fotografen, ein Wettbewerbserfolg, eine Veröffentlichung...


Ihr persönlicher Fotomarathon
Wenn Sie es mal wieder mühsam finden, wenn nichts so funktioniert, wie Sie es gerne haben würden, dann stellen Sie sich doch einmal vor, Sie wären ein ambitionierter Marathonläufer. Würden Sie den Bus nehmen, um die 42,195 Kilometer zurückzulegen? Vermutlich nicht. Sie würden auch nicht bei der ersten Trainingseinheit 42 Kilometer weit laufen, weil Sie das gar nicht schaffen. Sie würden sich schlau machen, wie man das Training aufbaut, wie man sich ernährt und wie man mit mentalen und körperlichen Problemen umgeht. Und Sie würden fleißig trainieren, jede Woche, monatelang. Irgendwann laufen Sie dann Ihren ersten Marathon und Sie kommen ins Ziel - irgendwo unter "ferner liefen". Aber Sie haben durchgehalten, das ist der Erfolg. Und beim nächsten Marathon sind Sie schon deutlich weiter vorne.

Es gibt keine Abkürzung, es gibt aber auch kein Zeitlimit. Nehmen Sie Ihre Kamera und machen Sie sich einfach auf den Weg.

1 Kommentar:

  1. Liebe Jacqueline Esen, danke für die aufmunternden Worte. Sie kommen für mich im richtigen Augenblick. Es ist genaus so wie Sie es beschreiben. Ich stecke noch in den Anfängen. Fotografiere so zusagen mit dem Lehrbuch nebendran :-) Aber es macht mir so viel Spaß, dass ich den "Marathon" fest im Fokus habe :-)
    Herzliche Grüße Heike Tharun

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