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Montag, 6. März 2017

Kameras - Wohin geht der Trend?

Gerade macht ein Link die Runde, in dem die Macher der Internetseite LensVid die Zahlen der Fotoindustrie aus dem Jahr 2016 vorstellen und interpretieren. Kurz zusammengefasst sieht die Lage nicht besonders prickelnd aus.















Smartphones im Aufwind
Verglichen wurden die Daten von 2009 bis 2016. In diesem Zeitraum ist vor allem eine Entwicklung unübersehbar: Smartphones haben die kleinen Kompaktkameras nahezu komplett abgelöst, dieser Markt ist völlig eingebrochen. Das ist bitter für die auf Wachstum ausgerichtete Fotoindustrie, aber es freut den Hobbyknipser, weil er nur noch ein Gerät braucht. Dafür gibt man dann gerne ein paar Euro mehr aus.

Das wiederum beflügelt die Hersteller von Smartphones, die mit verbesserten Kamerafunktionen eine ganz neue Zielgruppe ins Auge fassen. Mit Smartphones wird mittlerweile so viel Umsatz generiert, dass genügend Kapital vorhanden ist, um die Qualität der Handyfotos weiter zu verbessern. Da ist Luft nach oben, wir werden viele Innovationen sehen und es macht diesen Gerätetyp noch interessanter für all diejenigen, die bisher nur die Nase darüber gerümpft haben.



Kamerahersteller unter Zugzwang
Je weniger konventionelle Kameras gekauft werden, desto teuerer werden diese. Einige Hersteller haben bereits die Preise angehoben. Gleichzeitig wird weniger Geld in die Entwicklung neuer Modelle und Objektive investiert, dadurch verlangsamt sich deren Innovationszyklus. Als Fotograf überlegt man sich zu Recht, ob man sich wirklich ein neueres Modell kaufen soll, wenn es keine elementaren Verbesserungen gibt. Vor knapp zehn Jahren war die Frage Nikon oder Canon allgegenwärtig. Als die Fotografie noch analog war, hat man sich für ein Kamerasystem entschieden und ist davon ausgegangen, dass man für den Rest des Lebens mit dieser Marke fotografieren würde. Die Gehäuse hielten beinahe ewig und eine riesige Objektivsammlung, die über Jahre hinweg angeschafft wurde, stellte sicher, dass man keinen Systemwechsel vornehmen würde. Diese Strategie funktionierte beim Umstieg auf digitale Kameragehäuse weiter. Durch die rasante Weiterentwicklung der Technik war man nun aber gezwungen, alle paar Jahre ein neues Gehäuse zu kaufen. Das war fantastisch für die Industrie, denn es bescherte ihr enorme Zuwachsraten. Komplizierter wurde es, als die spiegellosen Systemkameras dazukamen. Heute liest man in den Second Hand Foren fast jeden Tag den Satz "Wegen Systemwechsel abzugeben...". Nie war die Zeit besser, sich nach guten Objektiven für DSLR-Kameras umzusehen.

Spiegellose Systeme
LensVid räumt mit einem Mythos auf: Richtig ist, dass die spiegellosen Systemkameras die althergebrachten Spiegelreflexsysteme schwer in Bedrängnis gebracht haben. Das Wachstum in diesem Bereich ist aber bei weitem nicht so groß wie erhofft. Nikon und Canon haben diese Entwicklung nie wirklich mitgemacht und sich darauf verlassen, dass der klassische Typ des Fotografen niemals aussterben und weiter zur "professionellen Kamera" oder zum Kompaktmodell greifen würde. Doch oh Schreck: die Verkaufszahlen sinken bei allen Kamerasystemen. 2012 war das letzte wirklich gute Jahr für die Fotoindustrie. DSLR und DSLM kämpfen um ihre Anteile in einem schrumpfenden Markt, während die Smartphone-Branche den Turbo längst gezündet hat. Ihr feuriges Auspuffrohr ist momentan von hinten zu sehen - mit einem 600er Teleobjektiv. Die Frage ist, wie lange dieser Vorsprung hält, ob es nur ein Hype ist, oder eine echte Zeitenwende.

Optisches Tele für Smartphones? Kommt auch noch!
















Eine Frage des Alters?
Betrachtet man die Zahlen, greift offensichtlich nur noch die Altersgruppe über Vierzig zur klassischen Digitalkamera. Allein die Tatsache, dass ich den Begriff "klassische Digitalkamera" verwende zeigt, welcher Umbruch gerade stattfindet. Vor fünfzehn Jahren war eine "klassische Kamera" noch ein Analogmodell mit Film. Nach heutiger Lesart wäre das ein "Kameradinosaurier". 
Es ist bequemer und cooler mit dem Handy zu fotografieren, die Bilder können sofort geteilt werden. Das ist die junge und frische Art, sich mit Fotografie zu beschäftigen und die Vernetzung wird immer wichtiger. Das Smartphone ist nicht nur immer dabei, es ist ein Alleskönner und außerdem billiger als jede Fotoausrüstung. Betrachtet man die berufliche und wirtschaftliche Situation junger Leute, wird zudem klar, dass nicht jeder eine vierstellige Summe für Kameragehäuse, Objektive und Zubehör hinblättern will oder kann. Ob man mit 40 schon alt ist, mag jeder für sich selbst entscheiden. Die Qualitäts- und Schönheitskriterien, die für den fotografierenden Opa noch absolut wichtig waren, sind für die junge Generation nicht mehr das Maß aller Dinge. Heute ist ein iPhone ein wichtigeres Statussymbol als ein Daimler in der Garage oder eine Leica im Vitrinenschrank. Der wesentliche Unterschied: das iPhone wird ständig benutzt.

Wohin geht die Reise?
Die demographische Entwicklung in Deutschland ist eindeutig: die sogenannten Alten sind momentan in der Überzahl und die 40-60jährigen haben die größte Kaufkraft. Das wird die Fotobranche noch eine Weile am Leben halten, aber sie muss sich etwas einfallen lassen, um dem Smartphone-Trend etwas entgegenzusetzen. Da immer mehr Senioren ihre Scheu vor den Smartphones verlieren, wird die Kameraindustrie auch bei dieser Zielgruppe Kunden verlieren. Knipsen und kreativ fotografieren kann man mit jeder Kamera, mit dem Handy ist es einfacher denn je. Es gibt auch den Retro-Trend: Manche greifen zur Polaroid oder fotografieren analog, um mal wieder zu entschleunigen. Andere zeigen ihren Kindern, den Digital Natives, wie man eine Lochkamera baut. Aber das sind kleine Nischenprodukte in einer überwiegend digitalisierten Umgebung. Die kaufkräftigste Gruppe interessiert das alles nicht: Sie haben eine eine Profi-DSLR, eine DSLM als Zweitkamera und das iPhone in der Jackentasche.

Im Freundeskreis erlebe ich, dass sich die Fragen nicht mehr um Herstellernamen oder um die Spiegelfrage drehen, sondern vielmehr darum, welches Jackentaschenmodell in der Lage ist, die Bilder zu machen, die man gerne haben will. Die Größe ist eben doch wichtig - je kleiner, desto besser - vorausgesetzt die Qualität stimmt.

Wir sind auch in einer Phase angekommen, in der die Bilder (das Ergebnis) einen höheren Stellenwert haben, als die Technik, mit der sie entstanden sind. Darauf habe ich selbst immer hingearbeitet, das war immer meine Rede, und darum kann ich diese Entwicklung gar nicht bedauern.


Mein subjektiver Eindruck von der Photokina 2016:
Es war rappelvoll, und es waren nicht nur alte Männer da.

Meine Arbeit als Fachbuchautorin und Fototrainerin ist an diese Entwicklungen gekoppelt. Wenn es immer weniger Kamerakäufer gibt, sinkt die Nachfrage an Fotofachbüchern. Je einfacher eine Kamera zu bedienen ist, desto geringer ist der Schulungsbedarf. Ich könnte also folgern: Wenn du ein totes Pferd reitest, steig ab?!

Klären wir zunächst die Frage, ob das Pferd wirklich schon tot ist. 



Erleben wir einen Paradigmenwechsel?

Die Fotografie ist so lebendig wie nie zuvor. Das sieht man daran, dass noch nie so viele (digitale) Bilder gemacht wurden, wie in den letzten Jahren. Die Methoden haben sich geändert und wir haben die Wahl, wie und womit wir fotografieren wollen. Vielleicht müssen wir unsere althergebrachte Vorstellung überdenken, und erneut definieren, was Fotografie eigentlich ist. Für mich bedeutet es nicht mehr und nicht weniger als "Bilder machen".

Wenn ein Fotokursteilnehmer sein iPhone zückt, und eine beeindruckende Momentaufnahme macht, während seine Vollformatkamera auf dem Stativ eine Dauerbelichtung von Lichtspuren im manuellen Modus aufzeichnet, kann ich nur sagen: Perfekt! Neulich im Botanischen Garten wollte mich eine ältere Dame davon überzeugen, dass man nur mit dem iPhone perfekte Fotos machen kann. Ihr missionarischer Eifer hat mich wirklich erschreckt. Damit kann ich genausowenig anfangen wie mit der Einstellung, dass man nur mit einer Vollformatkamera "richtig" fotografieren könne.

Die Systeme schließen sich nicht aus, sie ergänzen sich. Wir haben es letztlich selbst in der Hand, denn mit jeder Kaufentscheidung verstärken wir einen Trend oder wir schwächen ihn ab. Die Frage lautet nicht, welches System das beste von allen ist, sondern welches System für jeden ganz persönlich das beste ist. Wenn ich nur noch zwischen einem iPhone und einer sauteuren Profi-DSLR wählen könnte, würde ich mich fühlen wie ein Vegetarier an der Fleischtheke. Darum hoffe ich, dass die Fotoindustrie in ihrer gesamten Breite auf den Beinen bleibt, und dass wir weiterhin die Wahl haben, womit und wie wir unsere Fotos machen.

Den gesamten Artikel von LensVid (Englisch) gibt es hier zum Nachlesen oder als Video zum Anschauen.

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