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Mittwoch, 13. März 2019

Warum fotografieren? (5/20)

Warum ... fotografiert man so ein Motiv???




















In einem früheren Blogartikel hatte ich schon einmal darüber berichtet, wie meine Sammelleidenschaft für Halteverbotsschilder entstanden ist.
Weil ich meine Archive sehr häufig durchstöbere, stoße ich immer wieder auf einzelne Motive, die weit verstreut in den chronologisch sortierten Ordnern liegen. Wenn ich sie thematisch sortiere - hier wirkt eine gute Verschlagwortung wahre Wunder! - zeigt sich, dass diese Motive einem grundlegenden Muster folgen. Der Schilderwald ist eines dieser typisch deutschen Phänomene, das mich immer wieder dazu bringt, auf den Auslöser zu drücken.



Diese Einzelmotive sind oft keine schönen oder spektakulären Bilder. So etwas würde man sich nicht Zuhause an die Wand hängen. Sie eignen sich weder als Postkarte noch als Geburtstagsgruß, es sei denn, der Gegrüßte hat einen Sinn für skurrilen Humor.

Für mich sind solche Fotos trotzdem wichtig. Bei dieser Art der "Streetfotografie" sind keine Menschen zu sehen, aber ihre Anwesenheit ist eine Grundvoraussetzung: Die Botschaften der hier abgelichteten Symbole richten sich nicht an vorbeifliegende Singvögel oder streunende Katzen. Sie gelten der Spezies menschlicher Verkehrsteilnehmer. Für mich sind es kultische Objekte der Neuzeit, die von Menschen erdacht und aufgestellt wurden, um für Ordnung zu sorgen.
 

Wenn die Schilder genau das Gegenteil bewirken, entsteht ein kurzer Moment der Verwirrung oder des Staunens, der mich zur Kamera greifen lässt. Bei anderen Motiven sind es andere Gemütszustände, dann sehen die Bilder natürlich anders aus.

Verwirrung oder Überforderung sind Gefühle, die wir eigentlich nicht mögen. Darum blenden wir unbewusst vieles aus: Wir sehen nicht, was direkt vor uns ist, oder wir nehmen nicht wahr, was mit uns passiert. Bei der Meditation, die ich seit Jahren praktiziere, wird die Aufmerksamkeit trainiert: Was passiert gerade um mich herum und was passiert mit mir selbst? Bin ich gerade ärgerlich, nervös oder entspannt? Woran mache ich das fest? Diese Übung hilft mir auch beim Fotografieren.

Fotografieren als Achtsamkeitsübung
Wenn ich ein Bild gestalte, kann ich ganz bewusst die Dinge weglassen, die mich stören. Diese Dinge muss ich aber erst einmal wahrnehmen.  
Ein schönes, aufs Wesentliche reduziertes Foto ist für den Betrachter angenehmer und beruhigender als ein chaotisches Motiv. Darum bedeutet Bildgestaltung in der Fotografie nichts anderes als Ordnung ins Chaos bringen. Das ist ein Vorgang, der bei manchen Menschen intuitiv abläuft, bei anderen vom Verstand geleitet wird. Deshalb kann man Gestaltung auch lernen und trainieren. Bevor der bewusste (vom Verstand geleitete) Bildgestaltungsprozess einsetzt, passieren noch ein paar andere Dinge:
  1. Ich stelle fest, da ist etwas, das mich irritiert oder interessiert.
  2. Ich halte inne. In diesem Moment gibt keine Worte, die das Erleben beschreiben oder begleiten.
  3. Ich schaue mir das Motiv genau an und
  4. versuche herauszufinden, was genau meine Aufmerksamkeit geweckt hat. Dabei fokussiert sich meine Wahrnehmung zunehmend auf bestimmte Elemente - ich will wissen, was das war. Dabei schaltet sich der Verstand ein.
  5. Ich entdecke, was es ist und kann dem  Ding einen Namen geben.
  6. Ich widerstehe der Versuchung sofort zu knipsen, was da ist.
  7. Ich schaue noch einmal genau hin und versuche mir klarzumachen, was ich fotografieren muss, und wie ich es fotografieren muss, um diesen Moment einzufangen.
  8. Die fotografische Arbeit beginnt: Ich lege Perspektive, Bildausschnitt, Brennweite, Belichtung etc. fest. Dabei analysieren Verstand und Ego bereits gemeinsam,  wie das Bild idealtypisch aussehen sollte, aber auch für welchen Zweck und welche Zielgruppe es geeignet sein könnte. Bereits hier entstehen erste Ideen, ob und wie ich das Bild gegebenenfalls bearbeiten werde.
  9. Wenn das alles klar ist, erfolgt die Aufnahme.
Wenn ich so vorgehe, fotografiere also nicht (nur) das Objekt, das ich gesehen habe, sondern ich versuche, den vorausgegangenen Prozess des Erlebens in einem Bild zu verdichten.
Auf meiner Homepage zitiere ich den Spruch von Yedi-Meister Yoda: Es gibt kein Versuchen, nur Tun oder Nicht-Tun. Wenn ich hier also schreibe, dass ich versuche, ein Foto zu machen, dann klingt das wie ein Widerspruch. Die Sache ist kompliziert.   ;-)


Tun oder Nicht-Tun
Wenn ich ein Foto mache, habe ich mich fürs "Tun" entschieden. Manchmal mache ich kein Foto, weil ich erkenne, dass sich das Erlebte nicht mit diesen Mitteln festhalten lässt.
Manchmal müssen all diese Prozesse (1-9) in Sekundenschnelle ablaufen, z.B. wenn sich das fürs Motiv wichtigste "Objekt" bewegt, oder wenn sich das Licht verändert.

Versuch gelungen?
Wenn für mich beim Betrachten eines Fotos der gesamte Entstehungsprozess wieder lebendig wird, dann ist das Foto für mich persönlich "gelungen". Das heißt aber noch lange nicht, dass ein anderer Betrachter meinen Erlebnisprozess nachvollziehen kann. Er sieht nur das Ergebnis: Ein Bild, mit dem er/sie etwas anfangen kann - oder auch nicht.

Warum manche Bilder (immer) funktionieren und andere nicht
Bei schönen und spektakulären Bildern lässt sich das "Wow"-Gefühl sehr leicht auf einen Betrachter übertragen. Eine tolle Landschaft, ein Sonnenuntergang, dramatische Farben - das versteht jeder sofort und ganz unmittelbar. Der Betrachter empfindet automatisch angenehme Gefühle, erinnert sich an schöne, eigene Momente, die von einem Wow-Bild ausgelöst werden. Es entsteht vielleicht die Sehnsucht, selbst an so einen wunderbaren Ort zu reisen, und/oder selbst so wunderbare Momente zu erleben und zu fotografieren.

Bei einem Foto von einem Schilderwald oder anderen Alltäglichkeiten passiert das nicht so oft. Im Gegenteil, es kommen womöglich Erinnerungen an eine stressige Parkplatzsuche auf. So ein Bildmotiv weckt bestenfalls Assoziationen ans städtische Umfeld, das man vielleicht hasst, weil man viel lieber auf dem Land leben würde. So ein Foto kann also keinen Wow-Effekt bei anderen auslösen. Es kann höchstens diejenigen zum Nicken oder Schmunzeln bringen, die ähnliche Erfahrungen und eine ähnliche Sichtweise haben.

Technisch und gestalterisch mangelhafte Schnappschüsse sind oft so beliebt, weil sie den Reiz eines besonderen (lustigen, skurrilen) Moments vermitteln, oder weil es nur dieses eine Foto gibt, das lebhafte Erinnerungen weckt. Ob Schnappschuss oder Fünf-Sterne-Bild: Für jeden Fotografierenden ist und bleibt das selbst aufgenommene Bild einzigartig. Es bleibt mit dem subjektiven Entstehungsprozess verbunden und weckt viele komplexe Erinnerungen, die einem unbeteiligten Betrachter niemals zugänglich sein werden. Darum ist es auch kein Wunder, dass sich die Wettbewerbsfotografie immer wieder um die gleichen Themen und Motive dreht. Dieses weitgehend genormte Bild-Erlebnis ist in der Fotoszene fest verankert und wird nur selten durchbrochen. Das gilt auch für Agenturmotive. Die meisten Bilder in der Werbung, auf Webseiten und in Büchern stammen aus solchen Agenturen, dadurch verankert sich auch diese Ästhetik in unserer (unterbewussten) Wahrnehmung. Was nicht in diese Schublade passt, wird eher abgelehnt. Als Fotograf kann man dieser Ästhetik folgen oder sein eigenes Ding machen. Fragen Sie sich also 

"Wieso, weshalb, warum?"

...fotografiere ich?


Für mich gibt es mehr als einen Grund. Der wichtigste lautet: Ich fotografiere, weil ich neugierig bin, und weil mich selbst die banalsten Kleinigkeiten dieser Welt immer noch zum Staunen und zum Schmunzeln bringen (=der Prozess).

Fotos (=das Ergebnis) sind für mich Orientierungspunkte im beständig aufsteigenden Nebel des Vergessens. Sie halten Erinnerungen wach, egal ob es schöne oder schnöde Motive waren.


Die Erfahrung bringt es mit sich, dass man irgendwann weiß, welche Motive man nicht zum Wettbewerb oder bei einer Agentur einreichen braucht. Auch wenn man das Handwerk beherrscht hören das Lernen und das Erfahrungensammeln nie auf.


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