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Montag, 9. Dezember 2019

Boah! Foto des Jahres... oder Fake?


Dass man Fotos mit Lightroom aufpeppen und sie mit Photoshop richtig gut fälschen kann, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Früher brauchte man dazu viel Geduld und Knowhow, aber die Zeiten ändern sich. Selbst für Laien wird es immer einfacher größere Bildmanipulationen vorzunehmen. Störende Passanten entfernen, einen blauen Himmel einfügen - alles kein Problem. 
Ein Leser hat mich auf Luminar 4 aufmerksam gemacht. In diesem Programm gibt es seit kurzem die Funktion AI Sky Replacement. AI steht für Artificial Intelligence, also KI, Künstliche Intelligenz. Damit erklimmen wir die nächste Stufe zum zusammengebastelten "Foto", an dem immer weniger echt ist. 


AI Sky Replacement verhilft einem Foto zu einem beliebigen neuen Himmel, aus "öde" wird "boah". Dabei arbeitet das Programm schon so sauber, dass der Fakehimmel auch um im Himmel stehende Baumwipfel oder Antennen, also feine Details, sauber abgebildet wird. Sogar die Lichtstimmung im Bild wird angepasst. Künftig muss man also noch skeptischer sein, wenn "boah" Fotos präsentiert werden. So wird es möglich, bei jedem beliebigen Wetter zu knipsen und hinterher alles nach Wunsch zu gestalten. Mit Fotografie hat das nicht mehr viel zu tun, die kreative Leistung besteht nur noch darin, sich aus der digitalen Konserve zu bedienen. Auch die Sonne und Sonnenstrahlen kann das Programm bereits beliebig ersetzen.

Derzeit lässt sich die Manipulation teilweise noch entlarven, da Luminar es noch nicht schafft, den ausgetauschten Himmel beispielsweise im Wasser oder im Meer zu spiegeln. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch das klappen wird. Wo kein Wasser, aber ein "voll krasser "Himmel ist, muss man heute schon aufpassen. So manches "Foto des Jahres" in Wettbewerben oder Zeitschriften könnte künftig aus dem Hause Luminar stammen, aber wir müssen gar nicht so weit gehen: Das Wetter in Ihrem Urlaub war nicht so toll? Nutzen Sie Luminar, um die Daheimgebliebenen mit fantastischen Szenen zu beeindrucken. Wie ich höre, sind schon einige Internet-Influencer in die Falle getappt, und wurden des Luminar-Betrugs überführt. Tja, wir leben in Zeiten des Fake. Will überhaupt noch jemand "echte" Fotos sehen? 

Heute hatte zudem diesen Brüller im Posteingang: 

 "Neue FotoTV.-Reihe zum Thema "Normale Menschen fotografieren"

Sorry, aber ich habe schallend gelacht. Die FotoTV-Redaktion erläutert ihre Formulierung wie folgt:

Übrigens: mit dem Begriff "normale Menschen" meinen wir lediglich keine professionellen Models, wissen aber, das auch diese "normale Menschen" sind - wir hoffen, ihr versteht unsere Terminologie dahingehend. :-)

Nein, ja, ich weiß nicht...? Für mich klingt diese Betreffzeile wie ein Beitrag aus dem Postillon. Das ist eine deutschsprachige Website, die täglich satirische Beiträge im Stil von Zeitungsartikeln und Agenturmeldungen veröffentlicht. Wie sehen Fotos von normalen Menschen aus? Ich glaube das wissen wir gar nicht mehr, es sei denn, wir öffnen unsere Fotoalben aus der Zeit, bevor Photoshop und Lightroom erfunden wurden. Ihre Kamera macht schlechte Fotos? Nein, Sie haben nur noch nicht die richtigen Apps auf Ihre Bilder angewendet.

Hier im Blog sehen Sie Fotos, die in Photoshop und Lightroom aufgehübscht wurden. Daraus mache ich kein Geheimnis. Wenn ich andere Software-Tools benutze, schreibe ich es dazu.

Das unbearbeitete Original


Mit den Möglichkeiten von Luminar hätte ich aus meinem Herbstmotiv noch viel mehr machen können, als ich es mit Lightroom (Bild ganz oben) getan habe. Für mich ist eine Bearbeitung immer dann stimmig, wenn sie dem subjektiven Erleben vor Ort einigermaßen entspricht. Aber dieses subjektive Erleben ist relativ. Ihre innere Wirklichkeit sieht womöglich ganz anders aus. 
Wir nähern uns einer eher philosophischen oder auch psychologischen Fragestellung, und das wird schnell unbequem.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Wenn ich hier einen gigantischen Sonnenuntergang simulieren könnte, würde ich mich fragen: wozu? Ich fotografiere lieber an einem Tag, an dem es so einen Sonnenuntergang wirklich gibt. Nun könnte ich auch argumentieren: Es gibt Tage mit solchen Sonnenuntergängen! Ich habe das ja schon gesehen. Wieso sollte ich warten, bis es wieder soweit ist? Vielleicht kann ich auch gar nicht mehr warten, weil mein Urlaub morgen zu Ende ist! Mein inneres Bild stimmt, also kann ich mir mein Foto entsprechend zusammenbasteln. Solange Sie diese Entscheidung bewusst fällen, und sich darüber im Klaren sind, was Sie tun - okay. Aber so etwas kann zu einem Automatismus werden.

In Anlehnung an Eckhart Tolle würde ich den herrschenden Zeitgeist in der Fotografie so beschreiben: Bildmanipulation bedeutet, dass du das, was du hast, nicht haben willst oder nicht wertschätzen kannst. Du willst etwas, was du momentan nicht hast. Mit jeder Bildmanipulation schaffst du unbewusst einen inneren Konflikt zwischen deinem Hier und Jetzt, wo du nicht sein willst, und deiner projizierten Idealvorstellung, wo du sein willst. Das ist eine Form von Realitätsflucht. 
Vielleicht möchtest du auch andere glauben machen, du hättest etwas ganz Tolles erlebt. Das wäre eine Form von Betrug. Beides reduziert die Qualität deines Lebens, weil du die Gegenwart verlierst. Auf lange Sicht gesehen, verlierst du womöglich den Sinn für die Realität und hältst dich nur noch in Traumwelten auf.

Wenn Ihnen das zu esoterisch klingt, bleiben wir bei den harten Fakten: Mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz will die Filmindustrie neue Spielfilme produzieren, in denen längst verstorbene Schauspieler zu neuem Leben erweckt werden. Im Film Gemini Man kämpft Will Smith gegen seinen jüngeren Klon. Dazu wurde der junge Will Smith am Computer neu erschaffen. Schauen Sie sich den Trailer an und vergleichen Sie den echten Schauspieler mit seiner jüngeren Animation, die Links finden Sie unten. Das ist toll, aber ... was macht das mit uns?

Schöne Neue Welt?
Mit den Mitteln der Bildmanipulation verändern wir nicht nur das Bild, sondern auch unsere subjektiv erlebte Realität. Langfristig unterscheidet unser Gehirn nicht zwischen echten und falschen Erinnerungen. So kann der "Fake" in unserem Erleben zu einer neuen Wirklichkeit werden, weil wir irgendwann fest davon überzeugt sind, dass da wirklich ein ganz toller Sonnenuntergang war. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Frage, ob wir uns nicht generell lieber in einer virtuellen Lebenswelt aufhalten wollen, weil die viel schöner und viel mehr "boah" ist, als das, was wir jeden Tag tatsächlich erleben (müssen). 

Der Tesla-Gründer Elon Musk geht noch einen Schritt weiter. Er ist ein Anhänger der These, dass es uns gar nicht gibt, sondern dass wir uns alle längst in einer lebensecht anmutenden virtuellen Realität befinden. Na sauber.

Treten Sie den Gegenbeweis an, und machen Sie mehr "echte Fotos" von "normalen Menschen". In einer virtuell geschönten Welt werden "normale" Fotos eines Tages vielleicht zu einem neuen Qualitätskriterium. Dann heißt es nicht mehr "Boah geil!" sondern "Boah, das ist ja echt ECHT!" 😀

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