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Dienstag, 15. Oktober 2019

Flow - Wenn alles leicht von der Hand geht

Den letzten Beitrag habe ich mit dem Satz beendet: Meine Bridgekameras erfüllen mir zwar nicht jeden Wunsch im Hinblick auf Schärfe und Auflösung, dafür schenken sie mir die Flexibilität und das Tempo, mit dem ich in meinen "fotografischen Flow" komme. 

Wie ist das bei Ihnen? Wann und wie kommen Sie beim Fotografieren in diesen wunderbaren Zustand, in dem alles wie von alleine läuft?

Warten auf das Licht...




























Arbeiten mit dem Stativ
ist bei mir die beste Voraussetzung dafür, erst mal NICHT in den Flow zu kommen. Doch es gibt Aufnahmesituationen und fotografische Ziele, die man ohne Stativ derzeit (noch) nicht erreichen kann. Das weiß ich ganz genau, will mich aber nicht damit abfinden. Das ist mein Problem. Wenn man die Welt anders haben möchte, als sie nun mal ist, fängt man an zu leiden. Beim Workshop im Ruhrgebiet wurden die abendlichen Aufnahmen für mich ein Selbstbeobachtungsexperiment der Extraklasse. 


Stativ = kein Flow. Warum?
Ich hatte das Stativ und den Rucksack mit der Zweitkamera schon den ganzen Nachmittag mit mir herumgeschleppt. In meinen Beinen steckten mehrere Kilometer Fußmarsch, der Nacken tat weh und die Füße auch. Im LaPaDu gibt es zudem viele Motive, die man von unten nach oben fotografiert. Bereits am späten Nachmittag fiel mir auf, dass ich meine relativ leichte Kamera nicht mehr ruhig halten konnte, mein Körper signalisierte Überforderung. Die Muskeln in meinen Oberarmen fingen an zu zittern wie nach einem harten Workout im Fitnessstudio. Auch mental war die Luft raus, ich hatte keine Lust mehr zum Fotografieren, und brauchte eine Verschnaufpause. Der Flow, den ich beim Fotografieren aus der Hand immer wieder erlebt hatte, war beendet. Genau in dieser Phase kam das beste Licht: Die sogenannte Goldene Stunde. Das setzte neue Energien frei, obwohl der Körper gerade noch im Notstrom-Modus gelaufen war - Flow!
Kurz darauf brachen wir zum 800 m entfernten Aussichtspunkt auf, von wo wir unsere abendlichen Langzeitbelichtungen machen wollten. Ich hätte nicht mitgehen müssen, aber ich wollte. 😉

Achten Sie auf die beiden braunen Holzhütten links, für die spätere Nachtaufnahme.


Auf dem "Monte Schlacko" suchten wir zeitig gute Plätze für unsere Stative, und richteten die Kameras ein. Kein Flow, aber wenigstens Routine. Dann hieß es stehen und warten, bis das Licht auf dem Gebäude angeht, und die Mischung aus Tages- und Kunstlicht optimal für Langzeitbelichtungen ist. Definitiv kein Flow: Das Stehen wurde umso anstrengender, je länger es dauerte. Nach dem sonnigen Nachmittag wurde es auch merklich kühler, ich fing an zu frösteln. Außerdem war mir langweilig. Das sind störende Gedanken und Gefühle, die den Flow verhindern. Hunger hatte ich keinen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das ausgesprochen schlecht für die Stimmung ist. 😉

Wie halte ich mich bei Laune?  
Dank 400 mm Zoom  konnte ich im schwindenden Tageslicht noch die Hochseilkletterer beobachten, ich hatte etwas zu tun. Fachsimpeleien mit anderen Fotografen oder (Handy)Fotos vom Sonnenuntergang helfen auch beim Überbrücken von Wartezeiten. Schließlich fing ich an, alle paar Minuten ein Foto zu machen, um das allmähliche Einbrechen der Nacht und die Veränderungen des Lichts zu dokumentieren. Die Idee dazu kam mir, weil ein anderer Fotograf am Boden eine GoPro mit einem Gorillapod installiert hatte, die im Timelapse-Modus alle dreißig Sekunden automatisch fotografierte. Das hätte ich auch machen können, aber mein Verstand widersprach: Es bestand das Risiko, dass der dritte von vier Akkus bei Erreichen der optimalen Lichtverhältnisse schlappgemacht hätte. Weil man das Akkufach an der FZ1000 nur öffnen kann, wenn man auch die Stativgewindeplatte mühsam abmontiert, habe ich auf dieses Experiment verzichtet. Schließlich hatten wir an diesem Abend noch eine Menge vor. Auch das sind störende Gedanken. Weil ich allmählich ins Tun kam, lösten sich diese Störenfriede auf.




Europa überstrahlt alles!
Die Sonne war endlich weg. Alle Fotografen am Monte Schlacko warteten auf das bombastische Lichtkunstwerk, doch es wollte und wollte nicht erscheinen. Es gab zwar einige bunte Lichtpunkte,  neu installierte LEDs, und den hellweißen Schriftzug EUROPA, aber so bunt wie auf den Fotovorlagen aus dem Internet wurde die Szene einfach nicht. Es fehlten offensichtlich ein paar Lampen am Gebäude. Ein paar Leute fingen an zu jammern: Der Europa-Schriftzug überstrahlte tatsächlich alles, er war viel heller als der Rest des Motivs, und somit ein echtes belichtungstechnisches Problem. Störende Gedanken. Ich wollte es drauf ankommen lassen, schließlich gibt es RAW + Lightroom.




Flow oder kein Flow?
Wenn ich aktiv bin, mich bewege oder wenigstens Fotos machen kann, stellt sich der Flow am leichtesten ein. Während die anderen noch auf besseres Licht warteten, zoomte ich auf einen günstigeren Ausschnitt, und fing an zu fotografieren. Endlich ins Tun kommen...!
Bei Langzeitbelichtungen kommt ein Element hinzu, das nichts mit dem Stativ zu tun hat: Die Belichtungszeiten verlängern sich auf 15, 20, 30 Sekunden. Danach braucht die Kamera für die Langzeit-Rauschreduzierung und fürs Speichern der Aufnahme noch einmal dieselbe Zeit. Es dauert also etwa eine Minute, bis das fertige Foto am Monitor sichtbar wird: Wieder warten. Gleichzeitig verändern sich die Lichtverhältnisse in der Blauen Stunde rapide. Man hat also nicht viel Zeit für Korrekturen und fürs Neu-Ansetzen. Deshalb sollte man auch mit vollem Akku starten. Störende Gedanken!? Nach der anfänglichen Langeweile wechselt man mental in eine Phase hoher Anspannung, aber auch Aktivität - im besten Fall ist es höchste Konzentration, die dann wiederum zum Flow-Erleben führen kann. Es fing an Spaß zu machen.


Meine Europa-Rechnung ging auf, aber es gab keine Beleuchtung auf den beiden Hütten.

Das Stativ war jetzt kein Problem mehr, dafür mehrten sich die Europa-Unkenrufe um mich herum. Als ich den Bildausschnitt neu einrichten wollte, kam das Signal zum Ab- und Aufbruch. Neues Motiv, neues Glück? Mit der grünen Brücke konnte ich nicht so viel anfangen, dann lief auch noch eine Gruppe anderer Fotografen mit ihren Stirnlampen durchs Bild. Okay, dann eben so. 😂
Unsere Gruppe zerstreute sich, jeder versuchte sein Glück woanders. Als nachtblindes Huhn war ich nun damit beschäftigt, nicht über irgendeine Fußangel zu stolpern, und den Anschluss an meine Fahrgemeinschaft zu behalten. Fotografieren war jetzt eher Nebensache.




Eule oder Nachtigall?
Schließlich sammelte sich unsere Fotogruppe vor einer beleuchteten Unterführung. Es ist einer der nächtlichen Instagram-Hotspots im LaPaDu. Wenn man hier das typische Fotografenfoto (scharf, mit Stativ und ohne Personen) machen will, braucht man Geduld. Auch bei einigen anderen schienen die Nerven allmählich etwas dünner zu werden. Es liefen dauernd Leute durchs Motiv, viele blieben direkt vor unseren aufgebauten Stativen stehen, um in aller Ruhe ihre (Handy)Bilder zu machen. Es gab also störende Elemente, viele störende Gedanken und den einen oder anderen harschen Wortwechsel mit Passanten. Kein Flow. In einem Zufallsmoment ist mir die typische Rot-Blau Aufnahme gelungen, danach war Feierabend fürs Stativ.

Selbstmotivation: Nach dem Stativ noch ein paar Wisch-Bilder für die gute Laune.




















Mit langer Belichtungszeit und Wischeffekten aus der Hand wollte ich mich noch einmal in den Flow bringen, aber so richtig hat das nicht mehr geklappt. Ich war einfach zu müde. Als extremer Frühaufsteher ("Nachtigall") bringen mich abendliche und nächtliche Aktivitäten grundsätzlich früher an meine Grenzen. Die sogenannten "Eulen" sind da im Vorteil. Man erkennt sie daran, dass sie vom Frühstück zurückkommen, wenn man selbst schon mit gepacktem Fotorucksack in die Lobby fährt. 😁 

Wie gut kennen Sie sich selbst?
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich das alles so ausführlich erzähle. Verstehen Sie es als eine Einladung, sich selbst beim Fotografieren genau zu beobachten:
  • Wann geht es Ihnen gut? 
  • Wann nicht?
  • Wo und wann erleben Sie störende Gefühle (Kälte, Hunger, Schmerzen, Müdigkeit...)
  • Wo und wann kommen die störenden Gedanken?
Sobald Sie wissen, was Sie stört, können Sie beim nächsten Mal für bessere Rahmenbedingungen sorgen, oder gelassener mit diesen Störungen umgehen. Die Störenfriede sind dann wie alte Bekannte, denen man aus der Ferne zuwinkt, und sich dann wieder auf die Sache konzentriert.

Durch diese Selbstanalyse habe ich gelernt, dass ich meinem inneren Widerstand gegen das Stativ künftig besser begegnen kann, indem ich
  • es häufiger benutze, anfangs aber nur kurze Zeit mit mir herumschleppe.
  • Dadurch gewöhnt sich mein Körper allmählich an das zusätzliche Gewicht.
  • Ich bekomme mehr Routine und kann auch mit Stativ etwas schneller arbeiten.
  • Zusätzlich kann ich nach Möglichkeiten Ausschau halten, wie ich das Tragegewicht verringere: Mein aktuelles Stativ ist für die P1000 gerade richtig, für die FZ1000 ist es überdimensioniert. Ein zweites (leichteres) Stativ für die leichtere Kamera wäre ausreichend. Das widerspricht zwar meinem Konzept, die Anzahl der Ausrüstungsgegenstände insgesamt gering zu halten, würde aber gegen meine Stativ-Neurose helfen.
  • Bei der Planung von Stativ-Einsätzen kann ich auf meine speziellen Bedürfnisse besser Rücksicht nehmen: Ein Marathon-Programm ist konditionell mit Freihand-Fotografie und leichtem Gepäck machbar; mit Stativ sind erst mal Kurzstrecken angesagt. Das ist eher eine Frage der Organisation.
Dazu fallen mir zwei Exkursionen ein, bei denen Gigi ihren Bollerwagen fürs Gepäck dabei hatte. Wir haben ihn alle dankend mitbenutzt, abwechselnd gezogen und im Blick behalten. 


Das lässt sich nicht immer und nicht überall realisieren. Im verwinkelten LaPaDu mit seinen vielen Treppen hätten wir einen flexibleren Stativ-Sherpa gebraucht. An dieser Stelle ziehe ich den Hut vor unserem Workshopleiter Werner, der an diesem Tag ziemlich lange herumstand, und auf die Stative der Teilnehmer aufgepasst hat. 



Ich habe noch nicht recherchiert, ob die Fotoindustrie eine Antwort auf diese Marktlücke hat. Die autonome Stativdrohne, die dem Fotografen das Zubehör hinterherträgt, war natürlich ein Scherz. Aber so etwas wie ein schicker Golf Caddy wäre womöglich ein Schritt in die richtige Richtung. Er müsste gelände- und treppengängig sein, zudem wasserdicht und diebstahlsicher, damit man ihn auch mal stehenlassen kann. Eine Fahrradkupplung wäre auch nicht schlecht. 😃
 
Man kann nicht immer alles haben, und darf sich nicht zu viel vornehmen. Das ist eine reine Kopfsache, an der man arbeiten kann. Vielleicht wird uns die nächste Smartphone-Generation von all diesen Problemen erlösen? Momentan gibt es noch genug "klassische" Fotografen, und somit hoffe ich, dass Sie einen Nutzen aus diesem Beitrag ziehen können.

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