Navigation

Freitag, 4. September 2020

Entschleunigt fotografieren



 

Diese Brücke überquere ich normalerweise aus der Gegenrichtung. Neulich hatte ich den gigantischen Einfall, mich umzudrehen. Ja, manchmal dauert es Jahre, bis man auf so bahnbrechende Ideen kommt. Mehr dazu später. 😂 

Nein, normalerweise ist diese Brücke stark frequentiert. An diesem Tag war es ungewöhnlich lange leer, und ich hatte Zeit, dieses alltägliche Motiv etwas länger mit dem Smartphone zu erkunden. Oft geben wir uns auch zu schnell mit dem ersten Ergebnis zufrieden, Klick und weiter.

Dass man durch einen Perspektivwechsel völlig unterschiedliche Bildwirkungen erzielen kann, wissen Sie längst. Vergleichen Sie das Bild oben mit dem folgenden:


Es ist der alte Bildgestaltungsklassiker Frosch- und Adlerperspektive. Das haben Sie hundertmal gehört oder gelesen. Aber: 
  • Wie oft machen Sie es (bewusst)?
  • Tendieren Sie eher zur Frosch-, zur Adler oder zur "Normalperspektive" aus Augenhöhe?
  • Wie lange nehmen Sie sich normalerweise Zeit für ein Motiv?
Das mit der Adlerperspektive ist nicht immer leicht. Für das zweite Bild habe ich mich auf die Zehen gestellt und mein Handy an den ausgestreckten Armen sehr weit nach oben gehalten. Gut, dass man diese Kamera anschreien kann: Wenn man "Aufnahme" oder "Klick" brüllt, dann löst sie aus. Mit einem Selfie-Stick wäre es einfacher gewesen, hätte aber nicht so lustig ausgesehen. 😉😅

Rückschau
Wir sind keine Eulen oder Greifvögel, die ihre Köpfe fast um 360° drehen können. Bei uns sind die Augen vorne am Kopf, und unsere Nacken sind üblicherweise steif. Wenn wir uns durch die Welt bewegen, sind wir ebenfalls nach vorne orientiert, weil wir es eilig haben. Deshalb schauen wir nur selten auf unserem Weg zurück. Dabei lohnt es sich beim Fotografieren, wenn man sich einfach noch einmal  umdreht, und die zuvor fotografierte Szene aus der Gegenrichtung betrachtet. Die Lichtsituation ist eine völlig andere, der Hintergrund ist ausgetauscht. Der Aspekt, den Sie beim ersten Bild in Szene gesetzt haben, ist jetzt vielleicht nicht mehr interessant. Aber es gibt oft einen anderen, einen neuen Aspekt, ein anderes Motiv im Motiv, das Sie vorher nicht bemerken konnten. Das verändert nicht nur Ihre fotografische Sicht, es kann auch ganz allgemein zu neuen An- und Einblicken führen - also zu mehr Kreativität.

Langsamkeit als Kreativitätsbeschleuniger
Unrast und Eile sind schlechte Begleiter beim Fotografieren. Lassen Sie sie zuhause. Suchen Sie sich eine Foto-Location und nehmen Sie sich von vorneherein fünf, zehn oder sogar fünfzehn Minuten Zeit. Was gibt es an diesem einen begrenzten Ort alles zu entdecken? Wählen Sie einen Radius, den Sie in der festgelegten Zeit nicht verlassen. Greifen Sie auch nicht sofort zur Kamera, schauen Sie erst einmal in Ruhe hin. Um die Übung ein bisschen schwieriger zu gestalten, können Sie sich beim Fotografieren zusätzlich auf eine Brennweite beschränken.
Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner: Wenn Sie während dieser Übung außerhalb Ihres definierten Bereichs weitere interessante Motive entdecken, nehmen Sie sich dafür auch wieder ausreichend Zeit. Ziel der Übung ist es, nicht besonders viele, sondern möglichst unterschiedliche Ansichten zu finden. 

Analysieren Sie Ihre Bilder
Beim oben gezeigten Bildvergleich ging es mir um die Zentralperspektive und um Linien, die ganz unterschiedlich verlaufen. Der Zuschnitt ins quadratische Format betont im ersten Motiv die (später gerade gerichteten) Linien an den Rändern. Auch die Entscheidung, den gelben Streifen am Boden ins Bild zu nehmen, und ihn im zweiten Motiv wegzulassen, beeinflusst die Bildwirkung. Obwohl es dieselbe Brücke ist: über welche würden Sie lieber gehen? 
Ich hätte im ersten Bild die Bildmitte noch weiter abdunkeln können, um den Eindruck zu erwecken, dass man am Ende der Brücke in einen völlig schwarzen Tunnel laufen muss. Im zweiten Motiv ist die Mitte deutlich heller, man sieht, wohin der Weg führt. Auch mit solchen subtilen Kleinigkeiten verändern Sie die Bildwirkung.

Details eignen sich natürlich immer gut, um eine Fotostrecke abwechslungsreich zu gestalten. Dieses Bild habe ich ebenfalls an dieser Brücke fotografiert, zunächst an einem Regentag, weil die Hundetatze sich so deutlich vom gelben Streifen abhob. An einem anderen Tag waren es die Schatten des Brückengeländers, also auch wieder Linien, die mir signalisierten: Stop, Fotomotiv!





Es lohnt sich fast immer, zweimal hinzuschauen, auch wenn man meint, man kenne seine Umgebung. Morgen ist auch noch ein Tag für dieses Foto ist eine Strategie, die nicht immer funktioniert. Das Licht und die Schatten wandern im Tages- und Jahresverlauf. Darum muss man manche Dinge sofort fotografieren, bevor der Zauber wieder verschwindet. Wenn es eine "Kunst des Fotografierens" gibt, dann besteht sie darin zu erkennen, welches Motiv man besser sofort, und welches man an einem anderen Tag besser ablichten kann.  Siehe auch Spotlicht an, hier im Blog.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bitte nach oben scrollen, um vorherige Kommentare zu lesen.

Neue Kommentare werden moderiert, um Spam und Werbung zu vermeiden. Deshalb kann es ein paar Stunden dauern, bis der Beitrag veröffentlicht wird. Vielen Dank für Ihr/Dein Verständnis.