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Dienstag, 24. August 2021

Farbstich

200 mm |  f4 | 1/40 s | ISO 1600 | -1

Ich wüsste jetzt gerne, wie Sie die Farben in diesem Foto wahrnehmen. Sieht es für Sie natürlich aus? 

Heute früh lief ich über eine kleine Brücke und war plötzlich total gefangen von den Grüntönen, die mich umgaben. Es ist August, eigentlich noch Spätsommer, aber es war dunkel wie im Spätherbst, der Himmel bedeckt und mittelgrau. Eigentlich war es ein total trister Morgen, an dem man keine intensiven Farben erwarten würde. Und dann dieses unglaubliche Grün! Ich holte meine Lumix aus dem Rucksack und machte ein paar Bilder. Aber schon beim ersten Kontrollblick auf den Monitor musste ich feststellen, dass irgendetwas nicht stimmte, denn die Fotos zeigten nicht das, was ich gesehen hatte: Ein schnödes Foto vom Bach, wie ich ihn normalerweise kannte. Häh? Ich hab doch nichts geraucht, so früh am Morgen. Was ist da los?

Das hatte ich gesehen:


Meine Kamera zeigte mir aber das:

100 mm |  f3,8 | 1/80 s | ISO 1600

So sieht der Bach fast immer aus. Ich wäre nicht zum Fotografieren stehengeblieben. Dank moderner Bildbearbeitung kann ich Ihnen diese Vergleichsfotos zeigen, weil ich das Motiv farblich so "hingebogen" habe, wie es meiner Wahrnehmung vor Ort entsprach. Nicht ganz exakt, aber zu 90%. In meiner Wahrnehmung gab es innerhalb der Grüntöne im oberen Bild noch erheblich mehr Nuancen. Wenn so etwas passiert, versuche ich zu ergründen, woran das liegen könnte. 
 
Sind meine Augen kaputt?
 
Seit Tagen fällt mir auf, wie früh es dunkel wird, und wie dunkel es draußen ist. Es könnte an meiner Nachtblindheit liegen, dass ich auf Helligkeitsschwankungen stärker reagiere als Menschen, die in der Dämmerung normal sehen. Womöglich verschiebt sich dabei meine Wahrnehmung für Farbtöne. Den kleinen roten Fleck im Hintergrund des zweiten Bildes habe ich überhaupt nicht gesehen, und das obwohl ich solche Details bei normaler Beleuchtung immer entdecke. Muss ich mir deswegen Sorgen machen? Nein. Ich habe einen Sehtest gemacht und es ist alles in Ordnung. Dabei kam auch heraus, dass ich offenbar "zu den 25% der Menschen gehöre, die als Tetrachromaten bezeichnet werden. Sie besitzen, wie beispielsweise Bienen, eine vierte Zapfenart, die gelbempfindlich ist." Aha. Aber warum sah der Bach für mich heute grüner aus als für meine Kamera? Unlogisch. Dass ich Grüntöne bei bedecktem Himmel generell intensiver wahrnehme, und interessanter finde als bei Sonnenschein, ist mir schon oft aufgefallen. Das Phänomen ist also nicht neu, heute war es nur besonders ausgeprägt.

Mensch und Kamera

Stören Sie sich häufiger an realen oder vermeintlichen Farbstichen in Ihren Fotomotiven? Eine Kamera ist ein prinzipiell unbestechliches Gerät, das Farben nach fest einprogrammierten Schemata in Bilder umsetzt. Dabei setzen unterschiedliche Kameras Farben in verschiedenen Nuancen um. Meine Lumix FZ1000ii macht das anders als die Nikon Coolpix P1000, und über mein Smartphone reden wir gar nicht erst. Damit meine Fotos am Ende alle "meinen Stil" bekommen, und meiner Wahrnehmung enstprechen, bearbeite ich sie am Computer. Bei Sonnenscheinfotos muss ich weniger Hand anlegen und eher die Belichtung korrigieren, bei Fotos an bewölkten Tagen sind es eher die Farben. Ich hätte aber nicht erwartet, dass die gleiche Kamera am gleichen Standort so unterschiedliche Farben ausgibt, die dann auch noch so stark von meiner visuellen Wahrnehmung abweichen.

Farbstiche erkennen und beheben

Wenn Sie merken, dass die Farben Ihres Motivs nicht stimmen, prüfen Sie als erstes den Weißabgleich. Das einfallende Licht (Beleuchtung) hat eine eigene Farbe, dafür gibt es den Weißableich für verschiedene Lichtsituationen: Sonnenschein, Bewölkung, Schatten, Halbschatten, Kunstlicht, oder den Kelvin-Wert (K). Meistens hilft schon ein angepasster Weißabgleich, anstelle des automatischen AWB (Automatic White Balance). 

Das Motiv selbst hat eine eigene Farbe, die wiederum die Farbreflexionen der Umgebung aufnimmt und zurückwirft. Dagegen haben die Standardeinstellungen an der Kamera nur selten eine Chance. Das Zartrosa ist zu bläulich, das Orange zu matt, das Blau zu dunkel oder das Schwarz nicht tief genug... Mit einer Kombination aus Manuellem Weißabgleich und einer Belichtungskorrektur kommt man bei schwierigen Motiven weiter. Das RAW-Format und die spätere Bearbeitung am Computer sind weitere Register, die Sie ziehen können, um die Farben in den Griff zu bekommen.

Zusätzlich kann man den Bildschirm und den Drucker kalibrieren, und für Fotoaufträge bei Dienstleistern Farbprofile verwenden, damit die Fotos so gedruckt werden, wie man sie am Bearbeitungsmonitor sieht. Nur die subjektive Wahrnehmung ist schwieriger zu "kalibrieren", wenn überhaupt. 😏

Oft sehe ich leichte Farbstiche in einem Motiv schon mit bloßem Auge. Im sommerlichen Wald sieht alles gelbgrün aus, das liegt einfach am Blattgrün, dem Lichteinfall und der Tageszeit. Da weiß ich, dass ich das später in Lightroom korrigieren muss, damit es nach einem ordentlichen Foto aussieht. Seit einiger Zeit ist das Color-Grading dazu gekommen, mit dem man die verschiedenen Helligkeitsbereiche eines Fotos farblich extrem feintunen kann. 

Anfangs habe ich diese Korrekturen überhaupt nicht verwendet, weil ich dachte: Wozu? Meistens kam ich mit den altgewohnten Farbkorrekturen schnell ans Ziel. Erst als ich einige vergilbte Analogmotive (> Digitalisierungsprojekt) bearbeitete, war ich mit meinem Latein am Ende. Was ich auch tat: Die Fotos sahen immer noch schrecklich aus. Also gab ich mir einen Ruck und probierte das Color-Grading testweise aus. Wow. 

Ich benutze es inzwischen häufiger, finde es aber sehr unkommod in der Handhabung. Damit hätte ich auch die Grün-Nuancen in den Lichtern und Schatten so hinbekommen, wie ich sie heute früh gesehen hatte, das war mir aber zu viel Arbeit. Die Ursache für diese eklatante Abweichung liegt vermutlich daran, dass die linke Seite der Brücke bei klarem Himmel deutlich mehr Tageslicht abbekommen hätte als die rechte, die im Schatten der Candid-Unterführung liegt. Auf der linken Brückenseite hat meine Lumix das Foto genau so umgesetzt, wie ich das Motiv gesehen hatte:

28 mm |  f2,8 | 1/60 s | ISO 500

Es war also wirklich "sehr grün". Das wiederum bringt mich zurück zu einem Langzeitprojekt aus dem letzten Jahr: Im Juli 2020 hatte ich mich schon einmal mit "Grünstudien" beschäftigt. Heute ist es eine Serie "Städtisches Grün mit Linienelementen" geworden.

28 mm |  f2,8 | 1/60 s | ISO 640


28 mm |  f2,8 | 1/60 s | ISO 320

28 mm |  f2,8 | 1/60 s | ISO 1000
 

Ob blaugrün, gelbgrün, moosgrün... Wichtig ist im fertigen Bild, dass weiße Objekte wirklich weiß erscheinen, auch wenn sie in Wirklichkeit das Grün ihrer Umgebung reflektieren. Das sieht aber im Foto nicht schön aus. Nutzen Sie den Weißabgleich - zum Korrigieren oder auch zum Experimentieren.

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