Freitag, 16. November 2012

An schlechten Geschmack kann man sich gewöhnen?

Gestern war so ein Tag, an dem sich das Fotografieren richtig gelohnt hat. Tolles Wetter, Sonne satt, goldener Oktober im November. Erfreulicherweise hatten die Bäume ihr buntes Laub noch nicht komplett abgeworfen, also nichts wie raus und noch mal mit der kleinen Nikon P7700 (Amazon) voll draufhalten. Das Ziel: Möglichst viele Funktionen durchfotografieren, damit das Handbuch zu dieser Kompakten auf den letzten Metern mit authentischem Bildmaterial bestückt werden kann.
Und da war sie: die Gemälde-Funktion. Was uns Nikon da beschert, kann man guten Gewissens als Angriff auf den guten fotografischen Geschmack bezeichnen. Oder sollte ich besser schreiben: den guten klassischen Geschmack?


Mit Fotografie hat das, was da aus der Kamera kommt, nicht mehr viel zu tun. Andererseits ist es ja auch eine "Gemälde"-Funktion. In den Anfangstagen von Fotofiltern orientierten sich die Gemälde-Filter an Leinwand-Umsetzungen oder sie produzierten malerische Bilder im Stil von van Gogh. Derzeit schwappt die HDR-Welle durch die fotografischen Lande, also sehen die neuen Gemälde eben so aus.


Naja, wer's mag? So mein Gedanke, während ich ziemlich viel am Rad drehte, und tausenderlei Funktionen testete. Dabei ertappte ich mich dabei, wie ich immer wieder in den Effekte-Modus wechselte, um mal so zu schauen, wie meine Motive als Gemälde aussehen würden.


Ach ja, irgendwie ganz nett.
Einfach mal abdrücken, schadet ja nicht.
Und dann passiert es. Ganz langsam und schleichend.

Es ist wie bei den Lebensmitteln: Hat man sich erst an den Geschmacksverstärker gewöhnt, lechzt die Zunge nach dem Glutamat. Rosa Erdbeerjoghurt aus Holzspänen verkauft sich bekanntlich blendend, obwohl man sich die echten Früchte auch in den Naturjoghurt schnippeln und die Zuckermenge selbst dazu geben könnte. Und genau so wird es dann wohl auch mit den Kamerafunktionen laufen. Was machbar ist, wird gemacht. Warum auch nicht. Dazu passend landete dann heute auch eine Werbemail in meinem elektronischen Posteingang. Der Titel: "Und aus "Müll" wurde Kunst - HDR Darkroom 6".
Fein, brauch ich nicht.
Ich hab ja meine Gemälde-Funktion 😉



Sagen wir mal so: Hin und wieder ein rosa Erdbeerjoghurt hat noch keinen umgebracht. Aber wenn man sich nur von so was ernährt, wird man wahrscheinlich ziemlich krank. Die hier gezeigten Fotos gibt es fast alle auch ohne die Geschmacksverstärkung, und darüber bin ich froh. Denn wenn der Anfall vorbei ist, werde ich sie wieder absolut grässlich finden. [Och nö, geht schon noch.]

Fazit: Bücher über Kameras schreiben ist ganz schön gefährlich.

Inzwischen bin ich natürlich neugierig geworden: was war vor 10 Jahren "in"? Wer eine alte Kamera hat, die über ganz andere Kunstfilter verfügt, darf mir gerne schreiben. Oder ich mache es selbst - zum Beispiel jetzt beim [Update 2020]? 😂

2 Kommentare:

  1. Wer die Geschichte weiterdenkt, der kann die Analogien zwischen Ernährungsphilosophien und den Entwicklungen in der Fotografie deutlich erkennen.
    Aus dem Homo-Allesfresser wird vereinzelt der Homo-Vegetarius nach dem er gesehen hat wie Masthühner als Massenware unter Einsatz von Medizin für die Wiesn' hochgepeppelt werden. Der Einblick in eine Schlachterei im Privatfernsehen verdirbt einem dann sogar die Lust auf eine gute Blutwurst. Die Reaktion dann als Vegetarier oder gar Veganer weiterzuleben - weil ach die lieben Tiere doch so arm dran sind entspricht dem radikalen Trend in der Digitalfotografie dann plötzlich nur noch mit 6x6 oder noch mehr analoger Filmfläche durch die Gegend zu laufen und von Korn, kreativer Unschärfe oder Entwicklungsmethoden in Wein zu schwärmen.
    Es ist wie immer das gesunde Mittelmaß das fehlt.
    Bei den Menschen - aber auch bei den Herstellern.
    80% der "Features" moderner Kameras werden wahrscheinlich von Otto-Normalverbraucher nicht genutzt - und die genutzten 20% werden dann noch "falsch" eingesetzt. (Beispiel Kinderbilder aus 170cm Höhe)
    Die richtigste Featureentwicklung bei den "Knipsen" wäre eine Motivklingel mit Starktstromeffekt - immer wenn ein Bild mit zweifelhafter Komposition versucht wird aufzunehmen bekommt der Fotograf einen Stromschlag. Das würde die Menge an Kleiner-Hund-auf-großer-Wiese-Bilder sicher wieder eindämmen.

    lg, oli

    P.S.: Dieser Artikel enthält Humor. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker ;-)

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  2. :-) Wunderbar.... vielen Dank für den Kommentar und das Weiterdenken. Was den Starkstromeffekt angeht, da hätte ich wohl letzte Woche auch einen mitbekommen, als ich versuchte Hunde-Action-Fotos zu machen... Freuen wir uns also gemeinsam auf den nächsten Blog Artikel!

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