Wie schwer ist es,
von der Kunst zu leben? Was ist überhaupt
Kunst? "Schreibnudel" Gitte Härter hat zur
Blogparade aufgerufen und stellt in ihrem Blog ein paar sehr interessante Fragen. Die beschäftigen nicht nur mich, sondern auch viele Menschen, die zu mir in die Kurse kommen. Vom Fotografieren leben - ein Traum... (?)
Als ich noch einen "Brotjob" hatte, war es mein allergrößter Wunsch, von etwas zu leben, das mir wirklich Spaß macht. Einen so genannten künstlerischen Beruf ergreifen, das hatte ich eigentlich verworfen, weil ich nicht als
brotloser Künstler enden wollte - Stier-Frauen sind sehr empfindlich, wenn es ums Materielle geht. Aber Geld allein macht auch nicht glücklich, das war das Fazit nach 15 Berufsjahren im Großkonzern. Wer kreativ ist, braucht viel Freiraum, und neben einem normalen Job ist oft nicht genug davon vorhanden. Bereits in den 90er Jahren war ich nebenberuflich selbständig und habe für andere fotografiert. Damals musste ich mich "Fotokünstler" oder "Fotodesigner" nennen, weil die Berufsbezeichnung "Fotograf" noch geschützt und nur den Menschen vorbehalten war, die eine klassische Ausbildung durchlaufen hatten.
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Mit Arbeiten für befreundete Musiker fing alles an... |
Als ich 2005 den beruflichen Schwerpunkt auf das Bein verlagerte, das ich bis dahin als "Spielbein" benutzt hatte, wurde schnell klar, dass ich da ein paar Muskeln zu trainieren hatte. Zum Selbständig-Sein braucht man nicht nur beide Beine, es erfordert vollen Körpereinsatz - im wörtlichen und im übertragenenen Sinn. Da ist niemand mehr, der sich um die Gehaltsabrechnung und um Versicherungsfragen kümmert, keine Putzkolonne, die die Papierkörbe ausleert, keine Kantine, keine IT-Abteilung, die zickige Computer oder gestörte Internetverbindungen wieder zum Laufen bringt... die Liste ließe sich ins Endlose verlängern. Mit Fotografie oder Kunst hat das alles überhaupt nichts zu tun. Wer ins tiefe Wasser springt, muss schwimmen und Allround-Qualitäten entwickeln. Eine künstlerische Veranlagung allein reicht nicht, um sich über Wasser zu halten.
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Der Brunnen vor dem Siemens-Gebäude:
Erinnerung an schöne und weniger schöne Zeiten... |
Inzwischen durfte ich mich
Fotografin nennen. Mir gefällt bis heute kein einziger dieser Titel, aber wir leben in
einer Welt, in der man Schubladen braucht. Mit dem Begriff "Autorin" kann ich mich noch am ehesten identifizieren. Dem Finanzamt war und ist das
völlig egal, Hauptsache ich kann so viele Einnahmen vorweisen, dass
kein Verdacht auf "Liebhaberei" besteht. Und mittlerweile ist das Amt ziemlich streng geworden, was das angeht. Liegt es wohl daran, dass Heerscharen von ambitionierten Fotografen ihre neuesten Kameras von der Steuer absetzen wollen?
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Mit der richtigen App lässt sich heute
mit fast jedem Knipsbild ein Effekt erzielen... |
Fotografie ist ein Handwerk, aber es kann auch Kunst sein. Manchmal ist es weder das eine noch das andere, dann spricht man von Knipserei oder Dilettantismus. Manche Fotografen beherrschen ihr Handwerk perfekt, aber sie machen keine Kunst; andere haben keine Ahnung von der handwerklichen Seite, aber ihre Bilder sind atemberaubend künstlerisch. Ich denke mittlerweile, dass jeder fotografierende Mensch von allem etwas hat: wir sind Knipser, Handwerker und manchmal auch Künstler. Inzwischen gibt es auch den Begriff "Knipskunst", den ich sehr charmant finde. Über Geschmack lässt sich nicht streiten - jeder hat seinen eigenen und das ist auch gut so. Ich fände es schlimm, wenn es harte Kriterien dafür gäbe, was Kunst ist und was nicht. Über den "Kunstbetrieb", in dem es um hohe Summen geht, und bei der Frage, warum bestimmte Werke in Museen hängen, habe ich meine ganz eigene Theorie, aber dazu vielleicht ein andermal mehr.
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Zankapfel Bildbearbeitung:
Auch da scheiden sich die Geister... |
Als Fotografin und Buchautorin bin auch ich Mitglied der Künstlersozialkasse. Da rein zu kommen ist für den Berufseinsteiger ein großes Glück, weil man in den ersten Jahren angenehm niedrige Beiträge zahlt. Später relativiert sich das, die KSK langt auch ordentlich hin, und das Finanzamt lieben wir alle. Ein Taschengeld als Zubrot, um das Hobby zu finanzieren, das ist einfach. Wer mit Fotos, mit Kunstobjekten oder mit der Musik seinen
Lebensunterhalt verdienen will, kommt nicht um die Gretchenfrage herum.
Wie hältst du es mit dem Kommerz?
Ich kenne viele Künstler, die diese Bezeichnung wirklich verdienen. Kaum jemand kennt sie, sie machen tolle Sachen, aber sie wissen oft nicht, wovon sie ihre Miete zahlen sollen. Dem "echten" Künstler haftet immer etwas leicht Weltfremdes an. Er oder sie lebt für die Kunst, oft sehr kompromisslos, mitunter sogar engstirnig und verbohrt. Kommerz - auf keinen Fall, und das aus gutem Grund. Ich bin zu pragmatisch, um Künstler sein zu können.
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Sieben Bücher in fünf Jahren...
Die Kunst besteht em ehesten darin, so viel Arbeit zu bewältigen. |
In meiner Phantasie stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich einfach in den Tag hinein leben, mich der Inspiration hingeben und entspannt abwarten könnte, bis mich die Muse küsst. Dummerweise sitzen mir ständig zwanzig dieser Musen im Nacken und verleiten mich mit ihren Sirenengesängen dazu, noch einen Text zu schreiben, noch einen Kurstermin einzubauen und doch bitteschön noch fünf weitere Fotoshootings zu organisieren. Ich bin ein Workaholic... das sind viele Künstler aber auch. Warum haben dennoch so viele von ihnen keinen
Erfolg?!
So lange man frei und völlig selbstgesteuert vor sich hinwerkeln kann, ist die künstlerische Welt in Ordnung. Man hat wenig Geld, aber auch keine Verpflichtungen. Man kann vom Erfolg träumen, und das ist ja auch was Schönes. Wenn er dann aber eines Tages an die Tür klopft, kommt er in Begleitung einiger Abgesandter. Die können ganz schön nerven: Sie wollen mitmischen, sie wollen ihren Anteil am Erlös, und sie zerren den armen Künstler aus seinem kuschligen Atelier hinaus in die Öffentlichkeit - der Kommerz kommt durch die Hintertür und es ist vorbei mit der künstlerischen Freiheit. Das alles ist für zarte Künstlerseelen äußerst unangenehm. Daran liegt es vermutlich auch, dass viele sich bewusst oder unbewusst selbst im Weg stehen (Stichwort "Glaubenssätze") und lieber ihre kommerzielle Erfolglosigkeit mit Würde tragen - sie sind eben
Künstler und sie wollen sich verständlicherweise von niemandem reinreden lassen.
Kompromisse
Ich glaube, in unserem (Unter)Bewusstsein ist ganz fest verankert, dass sich Kunst und Kommerz prinzipiell ausschließen müssen. Kunst gilt als etwas Ehrenwertes, Kommerz ist tendenziell verwerflich. Designer, Grafiker und Buchillustratoren sind von diesem Schubladendenken genauso betroffen wie Fotografen. Das eine ist Massenware, das andere kann man in limitierter Auflage für teuer Geld erwerben oder im Museum angucken. Dieses Schubladendenken bricht in den letzten Jahren ein wenig auf, aber prinzipiell ist es immer noch so: entweder das eine
oder das andere. Nur Wenige schaffen die Gratwanderung und machen beides. Der Weg von der Kunst in den Kommerz ist vermutlich einfacher, als umgekehrt. Sich aber erst mal als Künstler zu etablieren ist ein steiniger Weg, vor dem ich hohen Respekt habe.
Viele Kreative richten sich ihr Leben so ein, dass der Brotjob den Rücken frei hält, die Kunst kann in der Freizeit ausgelebt werden. Richtig ernst werden diese Leute aber nicht genommen, und die Arbeitswelt lässt immer weniger Freiräume für Menschen, die mehr können als in ihrem Beruf gefordert wird. Schade irgendwie...
[Das Fotomotiv, das ich an dieser Stelle zeigen wollte, habe ich vom Blog entfernt, da es sich um ein Foto handelt, für das der ahnungslose Fotograf eine kostenpflichtige Fotografiererlaubnis benötigt hätte.]
Wer
Ja zum Erfolg sagt, und bereit ist, sich seinen Regeln zu beugen, der findet sich womöglich in einer ganz neuen aber doch altbekannten Tretmühle wieder. Die Kunst wird zum Brotjob! Und dann wird es kurios. Wenn man Urlaub von sich selbst braucht, und sich ein neues Hobby suchen muss, um einen Ausgleich zum stressig gewordenen Künstlerberuf zu finden, kommt man sich vor, wie im falschen Film. Ein anderes Phänomen, das auftreten kann, besteht darin, dass ein Künstler mit einer ganz bestimmten Art von Werken verbunden wird. Macht er dann mal was völlig anderes, weil ihm die immer gleichen Dinger zu langweilig werden, wendet sich die Fangemeinde enttäuscht ab. Allerdings kommt es auf den Grad der Berühmtheit an: Wenn
Andreas Gursky anfangen würde, mit dem Handy Gänseblümchen in Briefmarkengröße zu knipsen, würden Sammler auch dafür eine Menge Geld hinlegen...
Wer für seine "Kunst" brennt, muss gut auf sich aufpassen. Sich dem Kommerz und dem Erfolg zu beugen, kann bedeuten, dass man seine Seele an den Teufel verkauft. Darum bevorzuge ich den gepflegten Kompromiss und unterscheide auch im "künstlerischen Beruf" zwischen dem, was mich ernährt (Bücher, Kurse), und dem, was mich in meinem tiefsten Inneren bewegt (Kunst?). Ein innerer Abstand zu dem, was man den ganzen Tag so macht, ist nie verkehrt. Engagierte, leistungsbereite Menschen laufen Gefahr, dass sie im Burnout landen oder von der Erfolgsmaschinerie verheizt werden. Dabei ist es egal ob man in einem festangestellten Brotjob oder in einem künstlerischen Beruf tätig ist. Wenn es heiß wird unter'm Hintern, muss man entweder ein Drache mit feuerfesten Schuppen sein, oder die Flügel ausbreiten, und den Abflug in ein neues Revier machen.
Kleiner Trost für alle, die den Moment verpasst haben: Es bleibt immer noch die Option, als
Phoenix aus der Asche wieder aufzuerstehen. Also, ihr Kreativen: Ärmel hoch krempeln und mutig nach vorne schauen.