Weniger ist mehr - das ist ein, wenn nicht sogar DER klassische
Gestaltungsgrundsatz beim Fotografieren. Manchmal sind zwei Farben
genug, um ein Foto daraus zu machen. Ich mag diese sehr einfachen und
grafisch wirksamen Bilder, aber nicht jeder kann sich für so schlichte
und grafische Themen erwärmen. Motive, die sich nicht wehren und nicht
weglaufen können, sind gut für Anfänger - für Fortgeschrittene sind sie
eine sichere Nummer. Man hat genug Zeit, sich Gedanken über den
Bildausschnitt zu machen, und noch mehr Zeit, um die ganzen
Kameraeinstellungen anzupassen.
So weit so gut. Aber als erstes muss man die Motive überhaupt sehen. Und da geht es oft schon los. Wenn ich mit Kursteilnehmern unterwegs bin, fällt mir immer wieder auf, wie schwer es sein kann, ein Thema zu finden.
Je mehr potenzielle Motive es gibt, desto größer ist die Reizüberflutung. Die naheliegende Lösung lautet dann häufig: Viele Fotos von vielen verschiedenen Motiven. Digitalkamera sei dank: die Karte speichert alles. Zuhause hat man dann die Qual der Wahl und ist vielleicht doch enttäuscht darüber, dass trotz vieler Fotos am Ende nur wenige Perlen dabei sind. Eine Möglichkeit, dem Frust vorzubeugen lautet:
Systematisch vorgehen
Beim Gestalten eines Bildes geht es um das Selektieren, um das Weglassen alles Überflüssigen. Darum habe ich mir angewöhnt, die geduldigen Motive mehrmals zu fotografieren. Das kommt mir natürlich auch bei meiner Arbeit als Buchautorin zugute, denn ich brauche immer mehrere Varianten: eins im Hoch- eins im Querformat, ein paar Varianten mit den typischen Fehlern, ein paar Varianten mit unterschiedlichen Zeit-/Blenden-kombinationen und eins, bei dem möglichst alles stimmt. Es ist manchmal ganz schön nervtötend, wenn man auf dieser Schiene denkt, und die gefühlt tausend Versionen durchfotografiert. Hinzu kommt dann auch noch der immense Bilderberg auf der Festplatte... Aber auf der anderen Seite stelle ich immer wieder fest, dass diese konsequente Vorgehensweise das beste Training mit der Kamera darstellt. Würde ich nur gelegentlich ein paar Bilder machen, wüsste ich auch nicht sofort, wo all die die Knöpfe und Funktionen an meiner Kamera sind.
Nicht aufgeben
Manchmal gelingt es auch mir nicht, ein Motiv genau so umzusetzen, wie ich es vor meinem inneren Auge vorgestellt habe. Bei diesem Foto musste ich nachträglich den Bildausschnitt enger machen, denn mit der kleinen G15 reichte die Brennweite von 30 (140) mm nicht aus, um diesen engen Bildwinkel zu realisieren. Näher ran gehen brachte keine Verbesserung, weil sich die Perspektive zu stark verschob. Das Digitalzoom hätte ich wohl noch zuschalten können, aber das war keine Option: neben der schlechteren optischen Qualität hätte ich das Foto dann nur als JPEG machen können. Der nachträgliche Zuschnitt, den ich bereits beim Fotografieren einkalkulierte, war in diesem Fall die bessere Lösung.
Schritt für Schritt vorgehen
"Fotografisch sehen" bedeutet
- das Motiv entdecken
- sich vorstellen können, wie das fertige Foto später aussehen soll.
Danach folgt der dritte Schritt, die Bildgestaltung:
- Wie platziere ich das Motiv?
- Welches Format (hoch, quer, 16:9...) passt zu diesem Motiv?
- Von wo aus fotografiere ich es?
- Gibt es störende Elemente, die ich vermeiden muss?
- Sind die Lichtverhältnisse so, dass sie meine Bildidee unterstützen oder machen sie Probleme?
Erst jetzt kommt die Kameratechnik ins Spiel, d.h. die Anwendung diverser Einstellungen. Das Bild im Kopf ist die Vorlage - erst wenn sie fertig ist, kann man über die Kameraparameter entscheiden:
- braucht das Motiv eine kurze oder lange Belichtungszeit oder ist es egal?
- braucht das Motiv mehr oder weniger Schärfentiefe?
- auf welchen Punkt stelle ich scharf?
- wie sieht es mit den Kontrasten aus? (>Messmethode, Belichtungs- oder Kontrastkorrektur, Aufhellblitz?, ...)
- muss ich den Weißabgleich anpassen?
- ...
Je genauer man weiß, was man will, desto einfacher ist die Entscheidung, ob bzw. welche Parameter abgeändert werden müssen. Es gibt immer mehrere, oft sogar viele Möglichkeiten, ein Motiv fotografisch umzusetzen. Für jede Idee, wie man das Gesehene im Foto umsetzen könnte, beginnt der Gestaltungs- und Entscheidungsprozess von neuem. Darum kann es keine Patentrezepte geben - und darum braucht man zum Fotografieren mehr Zeit als zum Knipsen.
Allen, die sich morgen am zweiten Münchner Fotomarathon beteiligen wünsche ich gut Licht und ein gutes Auge!
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