Freitag, 25. August 2017

Ich bin Amateur im wörtlichen Sinn


... sagt Udo Hartmann von sich selbst, und macht Fotos, bei denen mir, salopp gesagt, die Kinnlade runterfällt. Fotografischen Mainstream sucht man bei Udo vergeblich. Seine Bilder sind Kunst, das sage ich jetzt mal so. Ich schätze mich glücklich, dass er meiner Einladung zum Interview gefolgt ist. Das Profilfoto ist bei unserem letzten gemeinsamen Fotospaziergang Ende Juli entstanden.


Lieber Udo, wir kennen uns seit...
dem letzten Jahrtausend.
[Fotonanny: schön formuliert ;-) ]

Wir haben uns kennengelernt....
durch die Leidenschaft der Fotografie in den Kellerräumen eines Fotoclubs.

Du fotografierst seit...
mich der Virus des Einfangens von flüchtigen Momenten im Alter von 10 Jahren gepackt hat.


Du fotografierst...
analog - war früher der Standard. Heute nutze ich es zum Genuss. Manchmal mit einer Sofortbildkamera. Mindestens einmal im Jahr packe ich meine Zenza Bronica GS1 aus. Es ist wie Meditation und nach zehn bewussten Entscheidungen für ein Bild ist der Film voll.

digital - ist heute mein Standardwerkzeug, wobei ich die Diskussion über analog vs. digital überschätzt finde. Viel entscheidender ist für mich die Person hinter der Kamera und was sie daraus macht.

mit dem Smartphone - ist für mich eine Digitalkamera die vor allem zur Dokumentation geeignet ist und den Vorteil hat, dass sie die meisten Menschen immer dabei haben.

Du fotografierst derzeit...

für mich selber und dies eher bewusst. Dazu setze ich wieder vermehrt auf Festbrennweiten. Ihr vorgegebener Bildwinkel und ihre Staffelung im Raum sind eine bewusste Entscheidung in meiner Bildgestaltung. Ich fühle mich dadurch fokussiert, nicht eingeschränkt und übe auch mal bewusst auf ein mögliches Bild zu verzichten.
Bezüglich der Einstufung zwischen Hobby und Profi antworte ich immer mit einem leichten Lächeln: Ich bin Amateur im wörtlichen Sinne also "Liebhaber einer Sache". Dies sehe ich als Vorteil, da ich mit der Fotografie nicht meinen Lebensunterhalt verdienen muss, sondern sie als kreativen Freiraum nutzen kann.




Hast du immer mit der gleichen Intensität/Begeisterung fotografiert oder gab es Phasen, in denen du darüber nachgedacht hast, das Fotografieren ganz aufzugeben?
Die Intensität und Begeisterung finden bei mir in einer Wellenbewegung statt. Nach anfänglichem Stress merkte ich, dass es keinen Sinn macht dagegen zu arbeiten, sondern, dass es für mich besser ist auf der Welle zu reiten und sie als Phasen im kreativen Schaffen zu nutzen. Im Wellental fotografiere ich weniger und beobachte was das nächste Thema sein könnte. Auf dem Wellenberg ist es wie ein Flow - in diesem Moment suche ich nicht nach dem Motiv es ist da, es spricht mich an.

Ein konkretes Beispiel war, dass ich einige Zeit alltägliche Momente in einem Tool in Fake-Polaroids umgewandelt, diese Abzüge mit einem Datumsstempel versehen habe, und das ganze wie ein Tagebuch führte. Nach einiger Zeit merkte ich, dass diese Phase zu Ende ging. In der darauffolgenden Zeit, beschäftigte ich mich mehr mit dem Thema "Wie sieht die passende Darstellung und Haptik für meine Bilder aus". Herausgekommen ist ein Transferverfahren für Canon-Selphy Abzüge und eine Methode des Transfers mit Lösungsmittel. Das Canon-Selphy Transferverfahren, könnt ihr in Jacquelines Buch "Fotografieren! Die Fotoschule zum Mitmachen" finden.

Wie war das, als du mit dem Fotografieren angefangen hast und wie ist es heute?
Der magische Moment für mich war, als sich das erste Mal die Bildkonturen meines ersten SW-Abzugs im Entwicklerbad unter der roten Dunkelkammerbeleuchtung abzeichneten. Diesen Moment werde ich nie vergessen.
Heute bietet das Medium einem mehr Freiheit. Die Kunst besteht darin, sich den eigenen Weg, das eigene Tempo herauszusuchen, und in diese Richtung zu gehen. Ich kann jeden nur dazu ermutigen. Auch eine Kamera die schon ein paar Jahre alt ist - von der es bereits den Nachfolger oder sogar mehrere davon gibt - macht noch tolle Fotos. Auch eine "Bildermaschine" mit mehr als 10Bilder/sec kann sehr bewusst für Einzelbilder eingesetzt werden. Es liegt an einem selber und dem was man mit der Fotografie ausdrücken möchte.

Wenn sich etwas verändert hat: was genau?

Natürlich haben sich im Laufe der Zeit meine Motive verändert und sie tun dies fortlaufend. Auch ich habe gesucht, ausprobiert, verworfen, ehrliches Feedback erhalten, Meinungen aufgedrückt bekommen und bin täglich von der Umwelt beeinflusst. Meine Motivthemen nenne ich seit einigen Jahren "Menschen und Lebensräume" und fühle mich darin angekommen ohne sie dogmatisch in Stein gemeißelt zu haben.


Bei der Technik scheue ich mich immer, zu viel zu erzählen, da ich die Leser nicht beeinflussen möchte. In Summe kann ich jedem zurufen "es liegt an dir, was du daraus machst". Der eine nutzt ein kalibriertes, in der Farbtemperatur verstellbares Studiolicht, der andere die Taschenlampe des Smartphones mit dem er schräg auf eine CD-Rückseite leuchtet und somit Regenbogenfarben auf sein Motiv projiziert.
Im Laufe der Zeit hat sich auch die Präsentationsform geändert. Zu den klassischen Wegen wie persönliches Treffen und Ausstellungen bietet heute das Internet die Möglichkeit seine Bilder zu zeigen. Ich nutze diese alle, wobei mir der persönlichen Kontakt sehr am Herzen liegt.


Was machst du heute fotografisch – was ist dein aktuelles Projekt? 

Wie schon genannt, sind mein Themengebiete "Menschen und Lebensräume". Zurzeit verspüre ich einen Schwenk zu den Lebensräumen. Auch hierbei sind Menschen involviert. Egal ob indirekt, als Gestalter des Lebensraums, oder direkt, in dem sie Teil des Bildes sind. Derzeit arbeite ich an einer Serie, deren Titel ich hier noch nicht verraten möchte. Das Interessante daran ist, dass mich eine bestimmte Form von Motiven angesprochen hat und mir dies erst hinterher bewusst wurde. Und so ist der Arbeitstitel entstanden.
Parallel dazu habe ich eine Themensammlung von Ideen die ich gerne mit Menschen umsetzen möchte. Hierbei suche ich nicht die posing-sichere GNTM*-Kandidatin, sondern Menschen mit Persönlichkeit und der Freude daran sich vor der Kamera auszuprobieren. Wer daran Lust hat, darf sich gerne melden und wir werden gemeinsam etwas Einzigartiges gestalten.


[Fotonanny: *für alle, die nicht wissen was GNTM bedeutet = Germany's Next Top Model.]

Smartphonefotografie: (wie) setzt du sie ein?
Wie gesagt, für mich ist sie eine kleine, immer-dabei Kamera, die vor allem zur Dokumentation bzw. als visuelles Notizbuch geeignet ist. Bei der bewussten Gestaltung gibt es einige physikalische Grenzen, an deren Auslotung die Industrie gerade via Software / direktes Postprocessing bzw. mehreren integrierten Kameramodulen arbeitet. Somit kann dieser Markt in ein paar Jahren wieder völlig anders aussehen.


Wann hast du dir zuletzt eine neue Kamera gekauft und warum?
Das ist erst ein paar Wochen her. Die Motivation zum Kauf waren zwei Themenblöcke.
Der erste ist weniger Volumen, Gewicht gepaart mit einer Art Tarnkappe für die Fotografie auf der Straße bei gleichzeitiger Beibehaltung der Gestaltungsmöglichkeit und Bildqualität. Die Tarnkappe besteht darin, dass die Kamera mehr wie eine "nostalgische Hobby-Knipse" auf Umstehende wirkt und das Auslösegeräusch im urbanen Umfeld kaum wahrnehmbar wird. Hinzu kommt noch eine intuitive Bedienbarkeit. Dies bedeutet für mich, dass ich auf meine Hauptfunktionen direkt zugreifen möchte.
Der zweite Punkt ist die integrierte Bildbearbeitung, die automatisch meine geliebten SW-Bilder in einer Qualität erzeugt, die ich bisher nur mit viel Zeiteinsatz am Rechner hinbekommen habe. Jetzt liegen sie direkt nach dem Auslösen vor und benötigen, wenn überhaupt, nur noch eine minimale Bearbeitung.
Als Randbedingung habe ich nach der Markteinführung noch etwas gewartet, um sicherzustellen, dass ich kein Bananen-Produkt (Produkt reift beim Kunden) erwerbe und nicht den Early-Adapter-Preisaufschlag bezahlen musste.

Was empfiehlst du Menschen, die noch nicht so lange fotografieren, und ihre fotografischen Kenntnisse/Fähigkeiten verbessern wollen?

Sich in aller Ruhe darüber Gedanken machen:
* Warum fotografiere ich?
* Was möchte ich mit meinem Bildern ausdrücken, vermitteln?
* Für wen fotografiere ich?


Dazu kommen Grundlagen die einen dabei unterstützen wie die Technik funktioniert - da sie später wie Fahrradfahren automatisiert funktionieren soll - und alles um das Thema Bildgestaltung. Hier hat mir persönlich neben der fotografische Gestaltungslehre auch das bewusste Betrachten von Gemälden und anderen Kunstobjekten geholfen.
Wie man sich diese Grundlagen zuführt ist sehr individuell. Der eine bekommt es gerne persönlich erklärt, andere lesen gerne oder schauen sich Tutorials auf Internetplattformen an. Hier soll jeder seinen Weg gehen und gerade das Mischen der Möglichkeiten kann sehr hilfreich sein, da man z.B. bei einem persönlichen Training viel genauer Nachfragen kann, wenn man sich schon vorab mit der Fragestellung in Theorie und Praxis beschäftigt hat.
Genau dies ist das Stichwort "Praxis" und das (sich) darin Ausprobierens. Hier liegt für mich einer der ganz großen Vorteile der Digitaltechnik. Man kann ohne weitere Kosten, sehr schnell sein Ergebnis an seinen Erwartungen reflektieren. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema liegt weiterhin bei jedem selber.

Was gibt es sonst noch so zu erzählen? 

Ich kann jedem der sich für das Medium Fotografie interessiert nur zurufen, dass er den Mut hat seinen eigenen Weg darin zu finden. Sich selber die Zeit zu lassen um herauszufinden, was das eigene Ding ist. Persönlich habe ich festgestellt, dass für mich die größte Kunst darin besteht, zu erkennen, wann die Einflüsse von außen noch bereichernd sind, und ab wann sie drohen zu limitierenden, einschränkenden Vorgaben zu werden.

Wo kann man mehr über dich erfahren und mehr von deinen Bildern sehen?  
Auf meiner Homepage. Wer Teil der Bilder werden möchte, darf sich gerne melden.
Es gibt auch noch ein älteres Interview bei Fotodialoge.

Herzlichen Dank, diesem Link sollten die Leserinnen und Leser unbedingt folgen, denn dort sieht man nicht nur einige Deiner Poladroids, sondern erfährt auch, was nach folgendem Satz geschah: 

Passant: „Entschuldigen Sie, ich habe den Blitz gesehen, was machen Sie da?"

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