Ich weiß nicht, ob viel Phantasie dazu gehört, in einem Teerfleck am Straßenrand einen springenden Panther zu sehen. Doch als ich ihn sah, erinnerte ich mich sofort an ein Fotomotiv, das letztes Jahr bei einem Kurs entstanden ist.
Manchmal wird man von einem Motiv regelrecht "angesprungen" |
Während ich das rechte Schaufenstermotiv für sich allein eher unspektakulär finde, bekommt es durch die Gegenüberstellung mit dem gefundenen Stilleben eine ganz neue Bedeutung: Dieser Vorfall hat mir mal wieder gezeigt, wie mein Gehirn funktioniert. Vielleicht hätte ich den Straßenpanther überhaupt nicht gesehen. Aber in meinem riesengroßen inneren Bildarchiv gab es bereits dieses andere Foto. Das Gehirn stellte sofort einen Zusammenhang her.
Welche Motive wir sehen, und an welchen wir blind vorbei laufen, hängt sehr stark davon ab, welche Erfahrungen wir schon gemacht, welche Erinnerungen wir haben, und welche Assoziationsketten daraus entstehen. Der Mensch ist ein Augentier: die visuelle Wahrnehmung ist bei den meisten Menschen der am stärksten ausgeprägte Wahrnehmungskanal. Da wir ständig von Bildern umgeben sind, dringen diese Bilder in unser Gedächtnis ein, manchmal sogar ohne dass wir es bemerken. 200 Millisekunden reichen aus, das ist kürzer als ein Wimpernschlag, und schon hat ein Bildmotiv unser Unterbewusstsein erreicht. Wer sich mit Fotografie beschäftigt, schaut sich viele Bilder an, viele davon sehr genau und sehr bewusst. Bei allem was wir tun und denken geben die Synapsen im Gehirn elektrische Signale weiter. Dabei entstehen bevorzugte Leitungsbahnen: Die Bahnen, die wir häufig "befeuern" (Gedanken, die wir häufig denken), werden im Lauf der Zeit zu Daten-Autobahnen im Gehirn. Wenn wir uns immer wieder gleichartige Fotos anschauen, lernt das Gehirn in Zusammenarbeit mit dem Unterbewusstsein, was uns gefällt. Intuitiv reagieren wir dann auf genau diese Motive: das würde ich als die so oft zitierte "Motivklingel" bezeichnen, nach der die Kamerahersteller immer noch suchen.
Erfahrene Fotografen haben diese Motivklingel also im Kopf (oder im Bauch), aber sie hat auch einen Nachteil: Weil das Gehirn so fleissig die breiten Datenautobahnen baut, ist es unvermeidlich, dass wir an den vielen anderen, den neuen und ungewöhnlichen Motiven vorbei laufen. Um die eingetretenen Pfade zu verlassen, sollte man also regelmäßig über den fotografischen Tellerrand schauen. Das heißt konkret: sich mit Fotomotiven beschäftigen, die man selber so nicht fotografieren würde. Auf diese Weise kann man das Gehirn dazu bringen, ein paar Ausfahrten an der Datenautobahn einzurichten - weg vom persönlichen oder allgemeinen "Mainstream". Viel Spaß beim Entdecken kurvenreicher Landstraßen und holpriger Feldwege!
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