Mittwoch, 6. Februar 2019

Schluss mit Google Plus

Ich schaue nur sporadisch Nachrichten und wenn ich viel arbeite, entgehen mir Pressemeldungen erst recht. Die wirklich wichtigen Dinge erfahre ich auf anderen Wegen, die meistens mit dem Satz "Hast du schon gehört, dass..." beginnen. Das schont meine Nerven und mein Zeitbudget, während andere kluge Leute zwischenzeitich recherchiert und erste Analysen erstellt haben.

Als ich am vergangenen Wochenende eine Mail von Google erhielt, dass man den Dienst G+ im April komplett einstellen werde, hielt ich das zunächst für eine sogenannte Phishing-Mail. Bei meiner Recherche im Internet erkannte ich sofort, dass ich damit nicht allein war. Viele Nutzer von G+ wurden offenbar von der Entscheidung des Internetgiganten überrascht, andere hatten längst mit dem Niedergang von G+ gerechnet. "Grund hierfür sind die geringe Nutzung und die Herausforderungen, die das Anbieten dieses Dienstes mit sich bringt, um die Erwartungen seiner Nutzer zu erfüllen", schrieb das Google+ Team. Mit "Herausforderungen" waren wohl auch Sicherheitslücken gemeint, die der Dienst zuletzt nicht schließen konnte. Es wäre illusorisch zu glauben, dass die ganzen anderen Dienste keine Sicherheitslücken hätten, aber bleiben wir noch einen Moment bei Google +. 


Was ist (war) Google+ ?
Aufmerksam wurde ich auf diese Social Media Plattform im Juli 2012. Damals schwärmten vor allem Fotografen von der Facebook-Alternative, weil es dort viel interessantere Bilder gab, und weil sich Fotobegeisterte dort viel effektiver vernetzen, ihre Bilder präsentieren und diskutieren konnten.


Moment mal, dachte ich damals schon, was ist aus der Fotocommunity und Flickr geworden? Die Fotos auf G+ waren toll, aber die Plattform öffnete ein so weites Feld, dass mir schnell klar wurde, dass ich damit viel zuviel Zeit vertrödeln würde. Zudem machten viele Facebook-Freunde den Umzug gar nicht mit. Es war ein bisschen wie in analogen Zeiten: wenn die gute Freundin von München nach Hamburg umzieht, und dort ein neues Leben anfängt, verliert man allmählich die Verbindung. Heute gibt es virtuelle Städte, und sie konkurrieren darum, wer die meisten und die aktivsten Bewohner hat.

Vor zwanzig Jahren hatten wir insgesamt nicht so viele Freunde oder Kontakte. Viele tolle Menschen hätte ich gar nicht erst kennengelernt, wenn es das Internet und die sozialen Medien nicht gäbe. Besonders beim Arbeiten im Homeoffice fehlt die Kaffeeküche, in der man sich zwischendurch mit Kollegen trifft, um sich über "Gott und die Welt" auszutauschen, oder um über lustige Begebenheiten zu lachen. All das findet man auf den sozialen Medien. Darum beobachte ich die Entwicklungen mit einer Träne im Knopfloch. Es ist höchst bedauerlich, dass prinzipiell geniale Erfindungen wie Facebook und Co. eine Plage sind. Und das erst recht nach den aktuellen "Spionagevorwürfen". Egal welche Kanäle man benutzt, alle arbeiten mit der gleichen Psycho-Methode: 

Hey, du hast etwas verpasst! 
Simons Cat hat ein neues Video hochgeladen! Schau dir an, was dein Freund Hurks gerade gepostet hat. Schnitzeljäger hat neue Fotos für dich! Seit deinem letzten Besuch wurden 35969 neue Bilder hochgeladen. Du hast 99+ neue Nachrichten. Hmpftlbrmpft hat Geburtstag. Feiere mit ihm! 303 Leute, denen deine Seite gefällt, haben seit längerem nichts mehr von dir gehört! Poste einen Beitrag!

Da kann man wirklich wahnsinnig werden, wenn man den Einsatz solcher Medien nicht rechtzeitig dosiert.

Auf einer Online-Marketing-Schulung wurde ich darin bestätigt, dass man sich irgendwann entscheiden muss, worauf man seine Energien konzentriert. Wo findet man die Leute, über deren Aktivitäten man selbst gerne auf dem laufenden bleiben möchte? Als Anbieter von Informationen will man selbst ja auch die Leute erreichen, die sich für die eigene Arbeit interessieren. Wenn sich manche nur auf Facebook, andere nur auf Twitter und wieder andere nur auf G+ bewegen, muss man schon drei verschiedene Dienste bespielen, um die nötige "Reichweite" zu erzielen. Was nutzt es, wenn man qualitativ wertvolle Inhalte zum Besten gibt, aber nicht gefunden wird? In diesen sauren Apfel muss man beißen. Momentan sind die meisten Anwender bei Instagram oder benutzen Whatsapp. Der gewiefte Marketing-Experte tut also gut daran, dem Schwarm zu folgen (?). So lese ich derzeit auf diversen Profilen bei G+ Nachrichten, die auf fünf andere Social Media Kanäle verweisen, wo man den oder diejenige in Zukunft weiterhin wird finden können. Mich finden Sie immer hier, im Fotonanny-Blog, und das schon seit über zehn Jahren. Mindestens genauso lange tobt der Kampf darum, wer der große Social Media Platzhirsch im Internet ist, wird oder bleibt.

Falls Sie es noch nicht wissen
Die drei derzeit beliebtesten Anwendungen - Facebook, Whatsapp und Instagram - sind bereits in der Hand von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und sollen bis Ende 2020 ineinander verzahnt werden. Die sogenannte "Marktanalyse", bei der die Testanwender für 20$ ihre gesamten Daten preisgegeben haben, diente der Erkundung des Nutzerverhaltens:

Man "denkt über Wege nach, es Nutzern zu erleichtern, Verwandte und Freunde über Netzwerke hinweg zu erreichen. (...)  [ach wie schön!?]

Das Bundeskartellamt führt derzeit ein Verfahren gegen den Facebook-Konzern. Es geht darum, ob die Datenweitergabe zwischen den Diensten gegen Wettbewerbsrecht verstößt. Zudem hat der zuständige Datenschutzbeauftragte aus Hamburg Whatsapp und Facebook untersagt, Telefonnummern und andere Daten zwischen den Diensten abzugleichen. Zum Beispiel um herauszufinden, ob eine Person mit einer bestimmten Telefonnummer auf Whatsapp auch bei Facebook registriert ist.  [ups!?]

(...) Ziel des Plans dürfte sein, die Interaktionen zu steigern und die Nutzer noch länger im Ökosystem des Konzerns zu halten. Das macht die Dienste für Anzeigenkunden noch attraktiver. " (Süddeutsche, 25.1.2019)

Immun gegen Werbung?
Neulich habe ich beim Busfahren einen jungen Mann beobachtet, der auf seinem Handy Instagram benutzte. Nach etwa zwei Minuten poppte das Logo einer Fast-Food-Kette hoch. Der arme Kerl versuchte, diesen Beitrag weiterzublättern - erfolglos. Er schloss die Anwendung, startete Instagram neu, aber er kam nicht weiter. Etwas später sah ich, wie er auf seinem Minimonitor die Bilder der Sparmenüs durchblätterte. An der Zielhaltestelle der Buslinie gab es natürlich ein solches Restaurant. Ich weiß nicht, ob der junge Mann reingegangen ist, aber die Penetranz, mit der dieser Werbebutton auf dem Handy erschien, war selbst aus der Ferne nicht zu übersehen. Du darfst mich erst weiter benutzen, wenn du dir die Werbung angeschaut hast. Genau so läuft es auch bei Youtube und auf den privaten Fernsehkanälen. Wenn meine Mutter auf ihrem alten Fernsehgerät Werbung anschaut, und mir im vollen Brustton der Überzeugung erklärt, dass sie sich "informiert", lache ich sie jedes Mal aus. Am nächsten Tag schreibt sie ihren Einkaufszettel und meint, wir müssten mal den neuen Kuchen der Firma XY ausprobieren. Halleluja. Werbung wirkt. Wenn man sie nicht wegklicken kann, wirkt sie erst recht. Ach so: ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass dieser Blog nahezu werbefrei ist? Spenden via Paypal sind immer willkommen. Oder kaufen Sie eins meiner Bücher, das würde mich freuen. Ich könnte vom Erlös den besagten Kuchen kaufen und meiner Mutter damit eine große Freude machen.

Photo by Hannah Morgan on Unsplash

Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus?
G+ ist nun aus dem Rennen, aber macht es einen Unterschied? Die Nutzer werden weiterziehen, wahrscheinlich zu Instagram, wo sich die meisten längst ein Paralleluniversum aufgebaut haben. Ich weiß, dass viele LeserInnen dieses Blogs ganz bewusst auf keiner einzigen Social Media Plattform vertreten sind. Einige meiner Freunde haben sich nach den Skandalen schon letztes Jahr aus Facebook verabschiedet. Es ist für mich seitdem deutlich schwerer geworden, sie zu erreichen, und das ist schade. Mal schnell schauen, was xyz gerade beschäftigt, ein paar Fotos durchblättern, einen kurzen Kommentar oder ein Gefällt-mir! dalassen: das ist die oben erwähnte Kaffeeküche. Dort verbringe ich aber nicht meinen kompletten Arbeitstag. Manchmal schaue ich tagelang nicht vorbei, weil es Wichtigeres zu tun gibt. Für mich bedeutet es einfach nur, dass ich mit anderen Menschen lose in Verbindung bleiben kann. Es ist auch interessant zu beobachten, wie sich das Verhalten des Algorithmus an das eigene Nutzerverhalten anpasst, und die Profilbilder der aktuell bevorzugten Freunde auswechselt, sobald man häufiger mit anderen Personen aus dem Freundeskreis kommuniziert. Bleiben oder gehen - und wenn ja: wohin? Vielleicht macht ja bald eine ganz neue Social Media Plattform auf.

Selbst wenn man einen Fotostammtisch im benachbarten Biergarten plant, erfolgt die Terminabsprache über elektronische Medien, vorzugsweise über Doodle. Das gehört noch keinem U.S. Konzern, lässt sich aber auch bequem mit Whatsapp verbinden. Und dann sitzen wir im Biergarten und reichen die Smartphones herum, auf denen wir uns gegenseitig die Bilder zeigen? Schöne neue Fotowelt... Sie verstehen vielleicht, warum ich mir oft die Frage stelle, wozu wir Vollformatkameras brauchen.

Für die nächsten Jahre hoffe ich, dass Google den Blogger nicht einstellt, das ist die Plattform, auf der ich diesen Blog betreibe. Klicken Sie bitte weiter auf diese Seiten. Wenn Ihnen dieser Beitrag zu trocken war, besuchen Sie den betrachtenswert-Blog und lernen Sie eine andere (Internet)Seite von mir kennen. Im nächsten Beitrag hier geht es dann wieder konkreter um Fotografie.

Weiterführende Links:

Süddeutsche Zeitung online: Zuckerberg will Infrastruktur von Whatsapp, Instagram und Facebook verschmelzen

3sat/nano: Gläserne User: 20 Dollar zahlt Facebook für den vollen Zugriff auf das Smartphone. Das trifft auch die ahnungslosen Freunde.

T-Online: So verhindern Sie, dass Facebook Sie im Netz verfolgt


1 Kommentar:

  1. Social Media Plattformen kommen, Social Media Plattformen gehen.
    Zum Glück gehen mehr als kommen.
    Gefühlt ändert sich der Trend zur maximal öffentlichen Nabelschau auf den Plattformen eh. Die jungen Heranwachsenden nutzen Gruppen auf Whatsapp und Snapchat - und damit geschlossene Systeme - um eben nicht sinnlos zu "teilen" sondern um zu kommunizieren. Ja, es wird weiterhin nur das "Gute und Schöne im Leben" geteilt, aber der Mensch ist nunmal ein Narzisst.
    Die Blog'o'sphäre hat sich selbst das Grab geschaufelt und die DSGVO hat dem System Blog den Todesstoß versetzt. Es wird nicht mehr kommentiert weil man die Artikel nicht mehr bekommt oder zu faul ist regelmäßig auf den Blogs seiner Wahl nachzulesen. Die https://kwerfeldein.de/photosphaere/ ist mal wieder ein gutes Projekt die Blogs dieser Welt an einer Stelle sichtbar zu machen.
    Lesen bildet, kommentieren verbindet. Durch eine Timeline zu scrollen ist Zeitvertreib.

    In diesem Sinne: Keep on posting!

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