Freitag, 11. Oktober 2019

Regen, Licht und andere Widrigkeiten


Wenn man über Industriefotografie im Ruhrgebiet spricht, fallen sofort die Namen Bernd und Hilla Becher. Mit ihren sachlich-nüchternen Architekturaufnahmen haben sie Fotogeschichte geschrieben. Deshalb ist es für viele Fotografen auch ein Ansporn, die noch existierenden Motive im Stil der Bechers aufzunehmen. Dazu braucht man vor allem wolkenverhangenes weiches Sonnenlicht, das wenig Schattenwürfe erzeugt, und den Himmel über den Gebäuden weiß werden lässt. Dieses spezielle Licht hatten wir... nicht ganz, aber im Ansatz sieht man im oberen Bild die "Becher-Ästhetik":
  • diffuses Licht
  • Zentralperspektive
  • Verzerrungsfreiheit, und vor allem
  • Menschenleere.


Regen = worst case?!
Als wir im weitläufigen Außengelände der Zeche Zollverein zur Fototour aufbrachen, war es noch trocken. Dann kam der Regenguß so schnell und heftig, dass meine FZ1000 II aussah, wie frisch geduscht. Sie ist nicht wasserdicht, aber diesen Härtetest hat sie bestanden, top. Ich nutzte die Wartezeit unter dem Regenschirm, um meine Kamera erst einmal vorsichtig abzutrocknen, und die Linse des Objektivs zu putzen.

























Der Starkregen ließ nach, aber es gab immer wieder Schauer, und die Luft war extrem feucht. Das sind keine idealen Bedingungen für maximale Bildschärfe, vor allem dann nicht, wenn man mit dem Teleobjektiv über längere Distanzen fotografieren will. Es legt sich ein leichter Grauschleier über die Motive, den man mit der Lightroom-Funktion "Dunst entfernen" zwar einigermaßen in den Griff bekommt, aber echte Schärfe bei klarer Luft sieht anders aus.

"Es laufen immer wieder Leute durchs Motiv", hatte Werner gewarnt, und uns empfohlen, so lange zu warten, bis alle Passanten verschwunden sind. Der Vorteil am miserablen Wetter bestand darin, dass sich die meisten Besucher ins Trockene verkrümelt hatten: freie Sicht für uns.

Gerade als ich ansetzen wollte, meine "Hommage an die Bechers" zu fotografieren, rollte von links ein elektrischer Minibus heran. Ich hatte ihn nicht kommen hören, und er blieb genau vor den Fotografen stehen, die ihre Stative aufgebaut hatten. Mist!? Nein, das war genial


























Das ist zwar keine Architekturfotografie, sondern ein Streetmotiv, aber ich mag Bilder, die die Wirklichkeit zeigen. Das plastikummantelte Gefährt blieb nicht lange stehen. Als es aus dem Motiv gefahren war, musste ich nur noch ein zweites Mal abdrücken. So hatte ich nicht nur meinen Bechermotiv-Plan erfüllt, sondern auch noch einen skurrilen Schnappschuss geschenkt bekommen. Lassen Sie den Zufall mitspielen, dann bringt er gerne neue Ideen mit.

Die digitale Dunkelkammer macht es möglich, in einem Bild die grauen Wolken zu verstärken, und sie im anderen verschwinden zu lassen. Farbe oder Schwarzweiß? Auch das entscheide ich zuhause am Computer.

RAW oder JPEG?
Normalerweise lasse ich meine Kameras beide Dateiformate ausgeben (RAW+JPEG), weil die Kamera-JPEGs inzwischen so gut sind, dass sie mir so manche Bildbearbeitung ersparen. Diesmal habe ich nur Rohdateien mit nach Hause gebracht, auch um die Akkus zu schonen. An einem langen Workshoptag, der über drei verschiedene Locations führt, und spät abends mit Langzeitbelichtungen endet, muss man den Stromverbrauch im Blick behalten. Bei spiegellosen System- und Bridgekameras mit Touchscreen können drei bis vier Akkus nötig werden. Den Touchscreen habe ich deshalb auch nicht immer benutzt. Ich gestalte meine Bilder ohnehin lieber im Sucher.

Verzerrungsfreiheit
Werner hatte ein Tilt-und-Shift-Objektiv dabei. Experten wissen jetzt sofort, was das bedeutet: Mit so einer Optik kann man schon bei der Aufnahme stürzende Linien geraderichten. Man erreicht eine unnachahmliche Schärfe, die bei einer Kamera mit Vollformatsensor und bei Verwendung eines Stativs richtig gut zur Geltung kommt.

Wer so etwas nicht hat, oder so ungeduldig ist wie ich, muss improvisieren. Die Lightroom-Funktion Linien geraderichten (Transformieren / Upright) gehört mittlerweile zu meinen Standardbearbeitungen. Wenn man beim Gestalten der Bilder die Linien schon möglichst genau ausgerichtet hat, genügt die "Auto" Korrektur, um leichte perspektivische Verzerrungen auszumerzen. Eine schiefe Straßenlaterne stört das Programm nicht, wenn es genug andere dominante Linien gibt. Die Option "Voll" ist mit Vorsicht zu genießen. Im Zweifelsfall wähle ich die Variante, bei denen ich bis zu vier eigene Hilfslinien im Motiv platzieren kann. Bei sehr komplexen Motiven erscheint mir das manchmal zu wenig, aber Stopp: Wenn vier Korrekturlinien nicht reichen, dann war das Foto nicht gut genug komponiert. Manchmal ist auch in der Wirklichkeit etwas schräg. 

























"Becher-Licht"
Ein weißer Himmel ist nicht meine Lieblingsbeleuchtung, obwohl ich die Schattenfreiheit bei manchen Motiven sehr zu schätzen weiß. Die harten Schatten, die bei Sonnenschein unweigerlich entstehen, machen viele Motive erst interessant, aber der Kontrast verursacht andere Probleme. Meine Devise: Man muss es nehmen, wie es kommt. Wo immer es geht, lasse ich den weißen Himmel einfach weg, und konzentriere mich auf Ausschnitte.

Das Belichtungsdreieck
Wenn Sie mit der Kamerautomatik (P oder iA) fotografieren, neigen die meisten Kameras bei trüben Lichtverhältnissen zur offenen Blende, einer mittleren Belichtungszeit (1/60 s) und reizen eher den ISO-Wert aus. Die Bildergebnisse können gut aussehen, oder auch nicht - es ist eher Zufall.

Ich habe bei den Touren im Ruhrgebiet meistens den Modus A genutzt, oder mit dem Programmshift im Modus P die Blende angepasst. Dabei habe ich auch immer ein Auge auf der Anzeige für den ISO-Wert, und entscheide situativ, was für das Motiv am relevantesten ist. Dank der guten Bildstabilisatoren in meinen Kameras kann ich auch mit riskanteren Belichtungszeiten (1/30 oder 1/10 s) noch gut arbeiten. Auch hier gilt der Grundsatz: je länger die Brennweite, desto kürzer sollte die Belichtungszeit sein, um Verwacklung zu vermeiden. Im Gegensatz zur alten FZ1000 hat die FZ1000 II den ISO-Wert nur ganz selten über ISO1600 gezogen. Für meinen Geschmack ging sie aber zu oft auf diesen Wert, wo ISO800 oder ISO640 für die unbewegten Motive ausgereicht hätten. Eine Begrenzung der ISO-Automatik ist für meine schnelle Arbeitsweise sinnvoller als das ständige Nachregeln des ISO-Werts von Hand. Darum benutze ich auch lieber die Halbautomatiken (A, S) in Kombination mit der Belichtungskorrektur, als den Modus M.

Welche Einstellung für welches Motiv?
Bei flächigen Motiven wie in Bild 1 spielt die Blendenöffnung die geringste Rolle. Hier muss man eher auf Verzeichnungen achten, die bei Weitwinkelobjektiven entstehen. Wegen der späteren Perspektivkorrekturen in Lightroom fotografiere ich bei Architekturmotiven eher einen größeren Bildausschnitt, um hinterher alle wichtigen Bildelemente am Rand noch erhalten zu können. Ein Wermutstropfen sind leichte Unschärfen, die an den Bildecken, oder bei der Perspektivkorrektur entstehen können. Wer das nicht mag, darf bei der Ausrüstung keine Kompromisse machen.

In Bild 2 läuft die Hausmauer schräg nach hinten. Hier sollte sich die Schärfentiefezone möglichst weit ausdehnen, also Blende schließen (kleine Zahl).

In Bild 3 war es wichtig, dass sich die vordere Laterne vom Hintergrund gut löst, also Blende öffnen (große Zahl). Die dichte Perspektive entsteht durch die Telebrennweite, die  selektive Schärfe generell betont, auch wenn man die Blende schließt.  Darum ist beim Arbeiten mit dem Tele besonders wichtig, dass der Autofokus den wichtigsten Punkt exakt trifft, und nicht versehentlich auf die Hausmauer im Hintergrund springt. Ein einzelner Autofokusrahmen ist hier besser, als der "Schrotflinten-Modus".




Klick aufs Bild für größere Ansicht

Im letzten Bild können Sie auch den Regen sehen. Auf diese Aufnahme hätte ich verzichten oder sie später vielleicht noch einmal machen können. Als es schließlich trocken blieb, war ich aber schon zum entfernten Ende des Geländes aufgebrochen.

Meine Bridgekameras erfüllen mir zwar nicht jeden Wunsch im Hinblick auf Schärfe und Auflösung, dafür schenken sie mir die Flexibilität und das Tempo, mit dem ich in meinen "fotografischen Flow" komme. In diesem Zustand, sehe ich überall Motive, spüre keine Müdigkeit, und das Wetter wird zur Nebensache. 😀

Über den "Flow" berichte ich bei nächster Gelegenheit.

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