Samstag, 14. August 2021

Distel reloaded - Vergleichsfotos

Lumix FZ1000ii | 170 mm | f4 | 1/400 s | ISO 125

 

Die "Zwei Minuten Distel" habe ich noch zweimal besucht und fotografiert: einmal auf dem Nachhauseweg, also erneut mit dem Smartphone, und am nächsten Morgen mit der Lumix FZ1000ii. Als ich das Motiv zum ersten Mal entdeckte, sah es vor meinem inneren Auge so aus, wie oben abgebildet, also ein ganz klassisches, "idealtypisches" Blumenfoto.
Eigentlich hätte ich mit dem Fotografieren aufhören können, nachdem ich meine Idealversion im Kasten hatte. Doch das Motiv eignet sich gut für eine Bildgestaltungsstudie, darum habe ich mir beim zweiten Mal insgesamt neun Minuten Zeit dafür genommen. Dieses Mehr an Zeit war notwendig, um verschiedene Einstellungen an der Kamera, und verschiedene Perspektiven auszuprobieren.

Einen weichen, diffusen Hintergrund, mit einer optimalen Freistellung des Hauptmotivs kann man auch mit manchen Smartphone-Apps simulieren. Mein Handy hat solche Funktionen nicht, also muss ich mir etwas anderes einfallen lassen, um ein Motiv attraktiv oder interessant darzustellen. Für mich besteht der Nutzen einer "richtigen" Kamera darin, dass ich mit verschiedenen Brennweiten, Belichtungszeiten und Blendeneinstellungen arbeiten, und mein Bild damit so gestalten kann, wie ich es mir vorstelle - klassische Fotografie. Es erspart mir aber trotzdem nicht die Mühe, nach einem guten Blickwinkel (Perspektive) zu suchen, und mich auf die jeweils vorhandene Lichtsituation einzustellen. Das ist vielleicht der entscheidende Hinweis: Bevor ich die Kamera einstelle, schaue ich mir das ganze Setting erst einmal an.

Im Bild oben ist es die lange Brennweite (170 mm) in Kombination mit einer möglichst großen Blendenöffnung (f 4,0), die beim weit entfernten Hintergrund den weichen Farbverlauf erzeugt. Die Telebrennweite hat völlig andere optische Eigenschaften als der Weitwinkelmodus: Der Bildwinkel ist sehr eng, man sieht weniger vom Umfeld, und die Proportionen des Objekts verändern sich. Ein weiterer Vorteil ist die Sensorgröße der Kamera, und die daraus resultierende Fähigkeit, den Schärfeverlauf und die Hell-/Dunkel-Unterschiede anders umzusetzen als mit dem Smartphone.

Smartphone - Zweiter Anlauf

Grundsätzlich ist die Beleuchtung (Lichtsituation) der wichtigste Faktor beim Fotografieren. Hier sehen Sie das Motiv morgens und abends, beide Male mit dem Handy fotografiert, und in Lightroom nachbearbeitet:

Abends stand die Distel schon im Schatten, morgens kam das Licht von links oben. Was ist besser? Geschmackssache. Links ist mehr Leben im Motiv, aber es gibt sehr harte Kontraste. Rechts ist der unruhige Hintergrund störend, und die Farbumsetzung war im Originalbild sehr flau. Die Farben im Foto verändern sich durch die Beleuchtung generell, und abends im Schatten besteht eher die Gefahr, dass man bei der längeren Belichtungszeit ein verwackeltes Bild bekommt. 

Ich habe mich an diesem Abend noch einmal für ein Silhouettenmotiv entschieden, hätte die Wolken aber gerne woanders gehabt. Dazu hätte ich die Distel einfach nur weiter von rechts fotografieren können, aber links kamen dabei wieder andere Elemente ins Bild, die mir noch weniger gefielen als die Variante mit einer verdeckten Wolke. Auch die weiße Wolke rechts oben im Eck ist ungünstig, weil das Foto an dieser Stelle keine richtige Begrenzung hat - es sei denn, man setzt einen kleinen Rahmen ums Bild.

28 mm | f1,9 | 1/800 s | ISO 40 (Handy)

Auf der Wiese gab es mehrere Disteln, die ich in einer "Interaktion" zeigen wollte. Mit dem Smartphone ohne Zoom war das nur als starke Ausschnittvergrößerung möglich (unten). Dieser Kunstgriff führt auch dazu, dass die hintere Distel leicht verschwommen erscheint, so als hätte ich mit einer größeren Kamera fotografiert. Die selektive Schärfe ist ein Ergebnis der Nahaufnahme mit Fokus auf die vordere Distel. Da das Smartphone fast immer mit f1,9 arbeitet, sieht man den Schärfeverlauf nach der Ausschnittvergrößerung deutlicher. Wenn man so ein Foto nicht groß drucken will, reicht die Auflösung.

28 mm | f1,9 | 1/750 s | ISO 40 (Handy)

Neuer Tag, andere Kamera, anderes Licht

Am nächsten Morgen habe ich den "Disteltanz" mit der FZ1000ii noch einmal fotografiert. Exakt dieselbe Perspektive war nicht sinnvoll, weil das Licht wieder aus der anderen Richtung kam. Die Wolken im Hintergrund sind ebenfalls ein Teil der Bildkomposition: Der blaue Himmel musste unbedingt rein.  Diesmal hatte ich mich für Blende f8 entschieden, um beide Disteln möglichst scharf abzubilden. Mit f2,8 hätte ich einen vergleichbaren Effekt wie oben bekommen können.

28 mm | f8 | 1/2000 s | ISO 125 (FZ1000ii)

Einen Sonnenstern hätte ich gerne hinter einer Distel gehabt, aber da hat das Wetter leider nicht mitgespielt. Diesen Sterneffekt bekommt man nur bei klarem Himmel - oder nachträglich per Bildbearbeitung. Das habe ich aber noch nie ausprobiert. Wenn Sie bei mir ein Sonnenstern-Foto sehen, ist es immer fotografiert.

Aufhellblitz statt Photoshop/Lightroom

Bei Gegenlicht den Blitz verwenden - oft ist das eine gute Lösung, um die Silhouettenwirkung (Unterbelichtung des Hauptmotivs) zu vermeiden. In diesem Fall überzeugt mich diese Lösung nicht. Ich habe mehrere Aufnahmen mit unterschiedlich dosiertem Blitz ausprobiert, und die Leistung schrittweise reduziert. Wenn ich die Distel aber so weit von unten fotografiere, sieht das nicht aus: Die stachlige Unterseite wird zu stark betont. 

Der Blitz lässt Gegenlichtmotive oft unnatürlich wirken. Das kann man als Effekt gezielt einsetzen, oder auch nicht, je nachdem, welche Wirkung oder Aussage ein Foto haben soll. Hier entsteht beinahe der Eindruck einer Nachtaufnahme bei Vollmond. Weil auch der untere Teil des Stengels hellgrün beleuchtet war, habe ich ihn mit dem Korrekturpinsel und einem Verlaufsfilter nachträglich abgedunkelt. Das Überstrahlen der Sonne gilt als technischer Bildfehler.

28 mm | f11 | 1/600 s | ISO 125 | Blitz -2 (Lumix FZ1000ii)

Bei der ersten Aufnahme hatte ich die Streulichtblende noch nicht vom Objektiv entfernt. Dadurch wird ein Teil des Motivs nicht vom eingebauten Kamerablitz beleuchtet und bleibt schwarz. Meistens handelt es sich bei solchen Effekten um ein Versehen, man kann es aber auch als Kunstgriff anwenden.

28 mm | f11 | 1/600 s | ISO 125 |
Blitz -1 1/3 (Lumix FZ1000ii)

Um meine Distel-Serie abzurunden, habe ich die Blüte noch einmal von oben fotografiert. Mit dem Smartphone wäre der Hintergrund schärfer und viel zu unruhig geworden. Auch in solchen Situationen ist das Arbeiten mit der Blendenwirkung ein gestalterischer Vorteil. An die Funktion Post Fokus, bei der die Lumix-Kameras mehrere Aufnahmen mit unterschiedlichen Fokuspunkten machen, habe ich nicht gedacht, es erschien mir aber auch nicht sinnvoll. Nächstes Mal bei einem anderen Motiv vielleicht schon.

28 mm | f2,8 | 1/800 s | ISO 125 |
(Lumix FZ1000ii)

Fazit

Fotografieren mit dem Smartphone ist fast immer möglich, es ist immer dabei - das ist ein absoluter Pluspunkt. Manchmal fotografiere ich zuerst mit dem Handy, hole dann aber doch die große Kamera aus dem Rucksack, wenn ich sie dabei habe. Manches lässt sich mit der "Großen" besser in Szene setzen, andere Motive gehen mit dem Handy genauso gut. Hier sehen Sie noch einmal das Distelfoto mit Umgebung vom ersten Tag, darunter die Vergleichsaufnahme mit der Lumix vom nächsten Tag. Die Uhrzeit war etwa dieselbe, das Bild sieht aber völlig anders aus - aber nicht (nur) wegen der Kamera.

28 mm | f1,9 | 1/600 s | ISO 40 | Smartphone

 

28 mm | f2,8 | 1/600 s | ISO 125 |
(Lumix FZ1000ii)

Beim Fotografieren haben Sie dasselbe Motiv vor sich, aber es ist nie dieselbe Situation. Die vorhandenen technischen Mittel sind nur ein Faktor von vielen. 

  1. Es gibt die klassischen Gestaltungsregeln, die Sie anwenden oder brechen können,
  2. es gibt das Grundlagenwissen um die Zusammenhänge von Blende, Belichtungszeit, Brennweite, mit dem Sie gestalterisch eingreifen können.
  3. Es gibt das Hauptmotiv und die Umgebung, die Sie zueinander in Beziehung setzen, und
  4. spezielle Kamerafunktionen oder Zubehör, das Sie einsetzen können - oder nicht.
  5. Vor allem aber gibt es das Licht, das bestimmte gestalterische Optionen eröffnet oder ausschließt.
Wie Sie all diese Elemente situativ miteinander kombinieren ist Ihre Art zu fotografieren, Ihr persönlicher Stil. Orientieren Sie sich an den Grundregeln, aber suchen Sie nicht nach Patentrezepten. Entwickeln Sie Ihre eigenen "Rezepte" und wandeln Sie sie immer wieder ab. Sonst ist es wie im standardisierten Schnellrestaurant: Es schmeckt immer gleich.
 
Wenn Ihre Idee nicht auf Anhieb klappt, oder wenn Ihre Kamera einfach doof ist: Fluchen Sie, was das Zeug hält. Das tut manchmal richtig gut. 😏
 
Gehst du weiter weg
von Stachelblume,
dann scharf.


Stichwort Sonnenstern: Alle Artikel dazu in diesem Blog finden Sie hier.

1 Kommentar:

  1. Danke fürs Schreiben über die Vergleichsfotos. Der Artikel ist sehr spannend. Die Kamera macht eben die Qualität des Bildes aus.

    AntwortenLöschen

Bitte nach oben scrollen, um vorherige Kommentare zu lesen.

Neue Kommentare werden moderiert, um Spam und Werbung zu vermeiden. Deshalb kann es ein paar Stunden dauern, bis der Beitrag veröffentlicht wird. Vielen Dank für Ihr/Dein Verständnis.