Freitag, 3. Juni 2022

Überraschung

45 mm | 1/2000 s | f4,5 |  ISO 125 - Lumix FZ1000 ii

 
#Licht&Schatten #monochrom  #Linien
#Gartenzaun

Ist das jetzt ein minimalistisches Foto oder ist das Motiv schon viel zu komplex? Es ist klar strukturiert und symmetrisch, aber es gibt auch winzige Brüche in dieser Symmetrie. Es wirkt auf den ersten Blick wie ein Schwarzweißfoto, denn es besteht überwiegend aus Grautönen. Die Bezeichnung "schwarzweiß" ist im Hinblick auf Fotos streng genommen unzutreffend, man müsste Bilder ohne Farbe "Graustufenbilder" nennen. Diesen Begriff  gibt es in den Menüs von Bildbearbeitungsprogrammen, dort hat er aber eine andere - technische - Bedeutung. Wenn Sie ganz genau hinschauen, sehen Sie im Foto einen kleinen braunen Fleck links, einen halb abgezogenen Klebepunkt. Es ist also ein Farbfoto
 
Auf wieviele Details achten Sie?
Fotografieren zwingt, nein, es bringt mich dazu, ganz genau hinzuschauen. Nur so gelingt es mir, interessante Motive zu sehen, sie erst einmal zu erkennen. Danach muss das entdeckte Objekt so im Bildrahmen positioniert werden, dass der subjektiv wahrgenommene Eindruck später im Foto wieder sichtbar wird. Dazu sind oft bestimmte Kameraeinstellungen notwendig, und/oder eine Nachbearbeitung am Computer. Auch da ist Genauigkeit wichtig, sonst klappt es nicht mit der Umsetzung von der "subjektiven Realität" in ein Bild, das meine Wahrnehmung angemessen wiedergibt. 

#Achtsamkeit hat in der Fotografie einen hohen Stellenwert, auch wenn man in Fotografenkreisen dieses Wort kaum benutzt. Es gilt vielleicht als zu esoterisch. Man würde eher von Aufmerksamkeit, Beobachtungsgabe und Konzentration sprechen. 


Klassische Motive
Ein Foto ist stets ein sehr kleiner, mitunter minimalistischer Ausschnitt aus dem großen Ganzen, das uns umgibt. Worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit, und wann richten wir die Kamera auf ein Motiv? Es gibt längst KI-basierte Verfahren, mit denen Kameras und Bildverwaltungsprogramme automatisch erkennen, was fotografiert wird oder wurde. Landschaft, Porträt, Kinder, Tiere, Food - Sie kennen das von den Automatikprogrammen oder der Verschlagwortung. Das wiederum zeigt, wie standardisiert die Mehrzahl der typischerweise fotografierten Motive ist. Wenn Sie etwas fotografieren, das nicht in eine der typischen Kategorien fällt, hat die Bildanalyse ein Zuordnungsproblem, aber die Programmierung wird ständig verbessert. Trotzdem kommt ein Foto wie dieses "Pusteblumenbild" nicht ohne Ihr Zutun aus der Kamera. Um das zu zeigen, was ich gesehen hatte, brauchte ich zusätzlich Lightroom.

200 mm | 1/60 s | f4 |  ISO 80 | -2 LW
Nikon Coolpix P7700

Knipsen ist ein Schmähbegriff für das Fotografieren, dem die Achtsamkeit und die Konzentration fehlen. Nichtsdestotrotz kann man auch beim Knipsen die wahrgenommene Realität in ein Bild umsetzen. Manchmal gelingen dabei zufällig, vielleicht sogar intuitiv hervorragende Fotos. Knipsen kann jede*r, fotografieren und Bildbearbeitung muss man lernen und üben. So ist es auch mit der Achtsamkeit, oder wenn Sie wollen mit der Beobachtung, die ich nicht als Gabe bezeichnen würde. Es ist eine Fertigkeit, die man genauso lernen und trainieren kann, wie Lesen und Schreiben. Aber wie lernt man das (fotografische) Beobachten? Zum Beispiel, indem Sie auf Details und auf Veränderungen in Ihrer Umgebung achten.
 
Als ich unterwegs eine mächtige gelbe Baumaschine mit ihren riesengroßen Reifen sah, hatte ich nur das Handy dabei. Kein gutes Licht, keine gute Kamera, aber zumindest eine Idee für ein minimalistisches Foto, bei dem es auch auf Präzision ankam.

28 mm | 1/100 s | f1,9 |  ISO 40 |
Minuskorrektur, Smartphone

Die Bilder im Kopf
Wenn ich es eilig oder den Kopf voller Gedanken habe, bin ich unachtsamer. Dann bin ich "im Geiste" nicht da, wo sich mein Körper befindet. Meine Gedanken eilen ihm voraus oder wandeln auf anderen seltsamen Pfaden; sie springen in die Zukunft, in die Vergangenheit, oder an einen anderen Ort, der nicht einmal real existieren muss. Sie kennen vielleicht die Formulierung "vor ihrem geistigen Auge sah die Autorin das türkis schimmernde Meer, und in der Ferne ein Boot mit weißen Segeln". Sehen Sie es auch? Selbst Worte sind in der Lage, Bilder in Ihrem Kopf entstehen zu lassen.

Das ist die faszinierende Fähigkeit unseres Gehirns, sich Dinge vorzustellen, die gar nicht da sind. Wir phantasieren ziemlich oft, merken es aber gar nicht. Oft schauen wir uns gar nicht die faktisch vorhandene Realität an, sondern sehen etwas, das von unserer Vorstellung überlagert ist. Diese Vorstellung kann idealisiert und überhöht sein, oder auch negativ verzerrt. Oh wie schön, oh wie hässlich. Je nach aktueller Stimmungslage sehe und fotografiere ich am Straßenrand Blumen oder Müll. Oder etwas ganz anderes.

Motivsuche: Aktiv oder passiv?
Man kann gezielt auf Motivsuche gehen, oder sich von Motiven überraschen lassen. Im ersten Fall hat man einen ganz konkreten Plan, oder zumindest eine gewisse Vorstellung davon, was man fotografieren will. Es gibt ein Thema, zum Beispiel Naturmotive, Landschaften, Architektur, Makro-Aufnahmen, Tiere, Farben, Muster... Dann ist die Wahrnehmung vorprogrammiert und das Unterbewusstsein wird dafür sorgen, dass man Motive, die nicht zum Plan passen, schlichtweg übersieht oder ignoriert. Die Aufmerksamkeit ist bei der aktiven Suche mehr oder weniger gelenkt. 

Bei der passiven Motivsuche geht man auf eine Entdeckungsreise, in der nahezu alles zu einem Fotomotiv werden kann. Hier spielt der Zufall besonders kräftig mit. In einem Zustand von Achtsamkeit ist man mit den Gedanken und mit der Aufmerksamkeit genau da, wo man sich körperlich gerade befindet. Da schweift nichts ab, da hört der Kopf auf zu quasseln, und man kann in den Prozess des "Schauens" regelrecht eintauchen. In beiden Fällen kann sich eine Art Flow-Zustand einstellen. (Siehe auch: Wenn alles leicht von der Hand geht)
 
Pläne sind gut, Flexibilität hilft weiter
Am 16. Mai wäre Mondfinsternis und Supervollmond gewesen, aber leider war es wolkig. Am Abend zuvor hatte ich mir die dicke Nikon P1000 zurechtgelegt, um mit der extralangen Brennweite auf den Mond zu zielen. Als ich frühmorgens durch die Wohnung lief, um aus allen Fenstern zu schauen, ob und wo dieser Mond eventuell zu sehen sein könnte, wurden die Spiegelungen zu einem meiner "Ersatzmotive".

235 mm | 1/30 s | f4,5 |  ISO 640 - Nikon Coolpix P1000

 
Sehen, visualisieren, gestalten
Mit zunehmender Erfahrung kann man sich beim Anblick eines Motivs vorstellen (visualisieren), wie das spätere Foto aussehen sollte. Für die Bildkomposition und die technisch erforderlichen Kameraeinstellungen ist diese Form des Visualisierens unverzichtbar. Anhand dieser Idealvision sucht man sich die optimale Perspektive und schraubt so lange an der Kamera herum, bis das Bild im Sucher so aussieht, wie das, was man sich beim ersten Anblick des Motivs unmittelbar vorgestellt hat. Manchmal klappt die Umsetzung nicht, was ein Zeichen dafür ist, dass man die Szene, die Person oder das Objekt mit einem verklärten Blick gesehen hat.
 
Vielleicht hat man schon einmal ein ähnliches, sehr schönes Foto gesehen, und will genauso eins machen - aber die Realität vor Ort gibt so ein Foto in der aktuellen Situation nicht her. Um diese enttäuschende Diskrepanz zu überbrücken, haben wir die einschlägige Software. Und so sehen wir mehr und mehr Fotos, die mit der Wirklichkeit relativ wenig zu tun haben. Vielleicht ist diese überhöhte Bildästhetik ein Zeichen dafür, dass wir mit der Wirklichkeit nicht mehr klarkommen, und uns deshalb lieber in die geschönte Bilderwelt flüchten?

Lassen Sie Ihre Erwartungen und Ziele eine Zeitlang ruhen.
Es kann nichts passieren: Wenn Ihnen die Ergebnisse nicht gefallen, gibt es die Löschen-Taste. Sie können ungewohnte Motive auch ein paar Jahre lang auf der Festplatte ruhen lassen. Später haben Sie vielleicht einen anderen Blick darauf. 😀 Je weniger Sie sich selbst unter Druck setzen, oder Erwartungen anderer erfüllen wollen, desto eher meldet sich Ihre Kreativität. Keines der hier gezeigten Motive war geplant, sie sind alle "aus dem Moment heraus" entstanden. Also auf ins Abenteuer: Lassen Sie sich bei Ihrem nächsten Fotospaziergang einfach mal überraschen.

 
Oder weiter zum betrachtenswert-Blog mit täglich wechselnden Motiven und Themen, zum Beispiel #Wolken, #Fenster oder #urban

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