Mein fotografisches Schlüsselerlebnis war der 80. Geburtstag
meines Schwiegervaters. Man hatte mich gefragt, ob ich meine Kamera
mitnehmen und Bilder machen würde. Vor Ort waren drei
Familienmitglieder mit ihren Smartphones und einem Selfie-Stick [kreisch!]. Als wir uns zum Familienfoto gruppierten, hatte der zehnjährige Neffe schon gelernt, dass er nur "Aufnahme!" rufen musste, um die Smartphone-Kamera zum Auslösen zu bringen. Er liebte es und rief es immer wieder...
Alle
Handys des gleichen Herstellers machten gleichzeitig "Klick!" Die Schwiegermutter blickte verwirrt auf das Bild auf ihrem Handymonitor, auf dem ihre Füße zu sehen waren. Schnell eilte der Schwager herbei, half ihr beim Löschen des Fehlschusses und erläuterte, dass man das noch genauer einstellen könne. Ich fühlte mich an Szenen von Loriot erinnert, aber den kennen heute nicht mehr so viele Zeitgenossen.
Das
Familiengruppenfoto, das wir eigentlich machen wollten, sah auf dem kleinen Display ausgesprochen gut aus:
Hell und scharf - beeindruckend. Aus Gründen familiärer Diskretion gibt es dieses Bild hier nicht zu sehen, dafür einen anderen Bildausschnitt, entstanden am gleichen Tag.
Selfie-Stick im Einsatz (nicht meiner) |
An die weitwinkligen Eierkopfbilder habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
Mir ist klar, dass Nichtfotografen diesen Unterschied überhaupt nicht
bemerken, Hauptsache alle lächeln schön. Zudem sind die Gesichter auf
den Handyfotos weichgezeichnet. Ja, man sieht viel jünger aus als in
Echt... naja, und ziemlich verzerrt eben... 😝
Der erste positive Eindruck der
Smartphone-Fotografie relativiert sich, wenn man die Fotos in hoher
Auflösung sieht oder drucken möchte, aber viele tun das heute nicht
mehr.
Jetzt gleich, aber hopp!
Per Whatsapp werden die Fotos
sofort von einem aufs andere Smartphone geschickt, die Ergebnisse der
spontanen Fotosession sind bei allen Leuten sofort abrufbar und im
Archiv gespeichert. Mit den entsprechenden Tools könnte ich mein
Kamera-Rohdatenformat inzwischen auch mobil in die
Lightroom-Entwicklung, in die Cloud und von dort weiter auf die Handys
der Familie schicken. Ich wollte mich aber mit ihnen unterhalten, nicht
die Fotos anschauen, die wir gerade gemacht hatten. Mein ganz
persönlicher Arbeitsablauf ist langsamer. Ich schaue meine Bilder in Ruhe
auf einem großen Bildschirm an, entwickle sie und erst
dann gebe ich die gelungensten Fotos weiter. [Ja, ich weiß: Die Dinosaurier
sind auch ausgestorben.] Heute will jeder alles und am besten sofort -
wozu also warten? Wenn ich nach zwei Tagen Bilder schicke, sind die
Leute gedanklich schon wieder ganz woanders. Bei Kundenaufträgen ist es
genauso: Da müssen die Bilder mittlerweile noch am gleichen Abend ins Intra- oder Internet, ein
Video-Livestream ist noch schneller.
Bloggen und streamen von unterwegs ist das Gebot der Stunde. Das wirkt und ist vermutlich sogar authentisch, vor allem hat es einen Vorteil: Man hat die Sachen gleich vom Tisch bzw. im Netz. Zeit
zum Reflektieren hat man nicht, es scheint als wäre das nicht notwendig. In einer Stunde kommt schon die nächste
Ladung, und die Erlebnisse von gestern rutschen in der Chronik schnell nach
hinten. Was bleibt, ist leider sehr viel Unverdautes. [Update dazu: Sind wir Exoten?]
Mein Fazit aus diesem Erlebnis: Zu Familienfeiern werde ich künftig auch nur noch ein Smartphone mitnehmen. Whatsapp kommt für mich nicht in Frage, höchstens Threema. Was die klassischen Kameras angeht: Fotografen brauchen sie immer noch, aber auch wir werden sie seltener benutzen.
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