Mittwoch, 23. Januar 2019

Ein guter Fotograf ist ...

... derzeit nicht zu ersetzen, endete ein Artikel bei Prophoto Online vor weniger als einem Jahr. Mittlerweile gibt es in diesem Portal der Fotoindustrie mehr als zwanzig weitere Artikel, die über den rasanten Fortschritt der KI (Künstlichen Intelligenz) in der Fotografie berichten. Auch auf der photokina 2018 war es ein Schwerpunktthema. Wir werden den Begriff "Fotografieren" und die Handlung des Fotografierens in nächster Zeit etwas genauer unter die Lupe nehmen müssen.


KI in der Kamera
Die KI-gestützte Fotografie hat ihren Ursprung in der Smartphone-Fotografie. Die hohen Absatzzahlen erlauben es den Herstellern schon seit einigen Jahren, viel mehr Geld in die Entwicklung zu stecken, als dies bei den altgedienten klassischen Kameraherstellern der Fall ist. Wenn man als Verbraucher keine echten Innovationen mehr sieht, entsteht ein Teufelskreis: die Nachfrage nach klassischen Kameras stagniert oder sinkt, es ist noch viel weniger Budget für neue Entwicklungen vorhanden und die Kunden springen frustriert ab. Ein Smartphone hat fast jeder, und wenn die Handybilder genauso gut aussehen, wie die aus klassischen Kameras, ist die Frage berechtigt, warum man sich so ein Modell noch kaufen soll. Einen positiven Trend gab es 2018 nur bei den sehr teuren professionellen Kameras. Ich persönlich sehe in dieser Entwicklung nicht immer den Wunsch nach besseren Bildern, sondern auch das Erstarken eines nicht ganz neuen Statussymbols. Wer es sich  leisten kann, kauft sich die digitale Voll- oder Mittelformatkamera für besondere Gelegenheiten. Im Alltag fotografiert man dann mit dem KI-gestützten Smartphone und verbindet das Beste aus beiden Welten.



Wieviel Spaß das Fotografieren noch machen wird, wenn wir das Gerät nur noch halten müssen, ist eine andere Frage. Vor allem Einsteiger werden sich schnell daran gewöhnen und sich eher freuen, dass sie ihre Bilder nicht selbst sortieren und bearbeiten müssen. Die Generation der älteren Fotografen wird diese Innovationen anfangs skeptisch beäugen und manche Vorteile im Lauf der Zeit schätzen lernen. Retro-Bewegungen wie bei der guten alten Schallplatte gibt es längst: Analoges Fotografieren hat seinen Reiz nicht verloren. Gemessen an der Gesamtzahl aufgenommener Fotos sind solche "Exoten" wirtschaftlich eher unbedeutend. Wird sich das mit den klassischen Digitalkameras auch so entwickeln?

Wer braucht Ki-gestützte Fotografie und wozu ist das gut?
Als die ersten selbstfotografierenden Kameras aufkamen, die eine Videoaufzeichnung machten und danach interessant erscheinende Szenen als Foto exportierten, habe ich  nur den Kopf geschüttelt. Wer braucht so etwas? Technik-Freaks, Geheimdienste? KI gibt es in neuen Überwachungskameras, die auch von Privatpersonen genutzt werden. Das System sendet automatisch eine Nachricht ans Smartphone, wenn in bestimmten Bereichen Personen auftauchen, oder wenn sich zum Beispiel die Anordnung der Gegenstände im überwachten Raum verändert.
Der Smartphonehersteller Huawei verbaut seit dem letzten Jahr KI-Chips in den Geräten. Das Besondere daran ist, dass sie durch regelmäßige Software-Updates ständig dazulernen. Viele Kameras erkennen schon seit Jahren automatisch welches Motiv sie vor sich haben, und belichten die Aufnahmen zuverlässiger als früher. Bei den Smartphones übernimmt die KI alle Einstellungen für eine perfekte Aufnahme.
Im März 2018 hatte die Redaktion von Computerbild zehn Leser zum Test eingeladen, die Urteile fielen ganz unterschiedlich aus. Ein Tester war enttäuscht, wie schlecht die KI in Standardsituationen funktioniert, ein anderer war begeistert, dass er jetzt endlich selbst tolle Fotos machen und herzeigen kann. Es hat wahrscheinlich mit der fotografischen Vorerfahrung zu tun, ob sich die Bilder mit der KI verbessern oder nicht. Der aktuelle Trend orientiert sich an einer Ästhetik, die ich als "Hochglanzmotive" bezeichnen würde. Der fotografische Alltag liefert nur selten entsprechende Vorlagen, aber mit den intelligenten und lernfähigen Bildbearbeitungsfunktionen kann auch aus einem schnöden Motiv ein Hingucker werden, selbst wenn der Knipser keine Ahnung vom Fotografieren oder von Bildbearbeitung hat. Für konservative Fotografen ist das ein Horror: "Wir mussten das alles noch von der Pike auf lernen", lautet ein frustrierter Kommentar. Ja, und eines Tages werden wir keinen Führerschein mehr machen müssen, weil wir in ein selbstfahrendes Auto einsteigen können. Ist diese Entwicklung vorgezeichnet oder nur eine Möglichkeit, über die wir (noch) selbst entscheiden können?

Einen Vorteil hat die KI beim Fotografieren: Wenn sie sich durchgesetzt hat, werden wir nicht mehr darüber sprechen müssen, welche Zeit-Blende-ISO-Kombination für eine gelungene Aufnahme nötig gewesen wäre. Die technische Seite des Fotografierens wird dann wirklich total einfach, und wir könn(t)en uns über andere Dinge unterhalten. Macht Deine KI die gleichen Bilder wie meine? Wenn jeder seinen eigenen Stil ins unergründliche KI-Netzwerk schickt, gibt es dann mehr Kreativität, mehr oder weniger Vielfalt?


Big Brother is watching you
Eine gute KI könnte dem Fotografen heute schon interaktiv mitteilen, dass er seinen Bildausschnitt anders wählen oder eine günstigere Aufnahmeperspektive einnehmen soll. Sie könnte vor störenden Bildelementen warnen und einen Winkelmesser einblenden, der signalisiert, dass man die Kamera schief hält. Dann wäre die KI-App ein Fototrainer, den man ständig an Bord hat. Momentan scheint es einfacher, den Hintergrund zu retuschieren oder ihn komplett auszutauschen. Mit Fotografie hat das nicht so viel zu tun. Testen Sie mal Photoshop Elements 19, das ist eine Offenbarung für Bildbearbeitungslaien! Woher weiß Adobe, was der Anwender will? Ganz einfach: Die meisten Benutzer haben vermutlich zugestimmt, dass Adobe ihnen beim Arbeiten mit dem Programm zuschaut. Wenn Sie das nicht wollen, rufen Sie Ihren Adobe Account auf und setzen Sie die entsprechenden Häkchen in Ihrem Benutzerprofil.

Photoshop CC will mir oft erklären, wie ich das Bewegen-Werkzeug benutzen soll, weil ich es wohl nicht so mache, wie es vorgesehen ist. Da sehe ich vor meinem geistigen Auge wieder das selbstfahrende Auto, das vor lauter Sicherheitsaspekten nur noch im Schritttempo fährt. Unterstützung ja, Bevormundung nein. Das wichtigste an jeder Funktion ist für mich, dass man sie auch abschalten kann.

Die KI lernt wie ein Kind, nur deutlich schneller. Dabei dürfen wir eins nicht vergessen: Wir sind diejenigen, die sie mit Informationen füttern.  "Wenn man der KI sagt, dass verwackelte Bilder gut sind, dann wird sie in Zukunft verwackelte Bilder auswählen oder produzieren." Ich mache manchmal verwackelte Bilder und manchmal scharfe. Ich treffe meine Entscheidungen gerne selbst, situativ und kontextorientiert. Ich bin gespannt, ob und wie eine künstliche Intelligenz auf dieses vermeintliche "Chaos" reagiert. Kennen Sie HAL 9000, den neurotischen Computer aus dem Film Odyssee im Weltraum? Wenn die KI von uns lernt, haben wir auch eine große Verantwortung.
  • Prophoto Online: Macht KI aus unseren Fotos einen visuellen Einheitsbrei?
    (Ne, den haben wir schon selbst gemacht, die KI lernt nur aus vorhandenen Bildern!)
  • Welt: Das unmögliche Foto macht Smartphones endgültig zur besseren Kamera
    „Wir haben die Software mit Hunderttausenden Bildern darauf trainiert, wie ein gutes Bild aussieht. Da die Kamera-App bei jedem Auslösen mehrere Bilder aufnimmt, kann sie das optimale Ergebnis auswählen und Belichtung, Sättigung und Kontrastumfang aus mehreren Bildern optimieren.“

  • Inside Handy: Die Zukunft der Fotografie - Zusammenfassung einer Expertendiskussion
    Die KI wird uns immer mehr Entscheidungen abnehmen, z. B. Bilder sortieren und automatisch bearbeiten. Gefälschte Fotos werden von echten Bildern nicht mehr zu unterscheiden sein. Erschreckender noch: in Kombination mit Fitnessarmbändern oder Gesichtserkennung kann der jeweilige Gemütszustand der Personen vom Gerät erfasst, ausgewertet und gespeichert werden...
  • Computerbild - Huawei Mate 10 Pro im Leser Check
Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit der KI in der Fotografie?
  • Finden Sie das Thema grundsätzlich interessant oder ist es für Sie nicht relevant?
  • Würden Sie ein Gerät mit KI ausprobieren oder nutzen Sie bereits eines? 
  • Wenn ja, welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? 
  • Wenn die KI auch in klassischen Kameras Einzug hält, würden Sie dann lieber zu älteren Modellen oder gar zum analogen Film greifen?
  • Welche Unterstützung würde Ihnen beim Fotografieren helfen?
  • Was düfte keinesfalls passieren?

Ich freue mich auf Ihre Meinung.

1 Kommentar:

  1. Was ist denn Fotografie eigentlich? Die Aussage, das ist Malen mit Licht finde ich da ganz gut getroffen.
    Der Fotograf als solcher ist daher unersetzlich, selbst wenn uns die KI in den Kameras von heute viele Einstellarbeiten bereits abnehmen möchte, oder das bereits voll automatisiert schon tut.
    Jetzt mal abgesehen von der Datenschnüffelei der Anbieter, wo denn meine Interessen liegen, um mir bei nächster Gelegenheit ein genau auf mich zugeschnittes Produkt anbieten zu können: Wo bleibt darin der künstlerische Aspekt des Fotografen? Eine KI schöpft doch nur aus einem Erfahrungsschatz, was Fotografen irgendwo auf der Welt schon einmal gemacht haben. Das wird dann zusammengemixt und "optimiert" zu einer neuen Art der Fotografie, die aber keinen Fotografen als Schöpfer kennt. Wem das gefällt,dem mag ich seine Freude daran nicht vermiesen. Aber das hat mit Malen mit Licht nicht mehr viel zu tun.
    Wenn die Fotoindustrie verstärkt auf diesen Aspekt setzt, um verlorene Verkaufszahlen gut zu machen, so fühle ich mich doch eher zur "alten Fotografie" hingezogen. Ich kann es aushalten, daß andere Fotografen bessere Fotos machen als ich. Wenn KI für uns demnächst entscheiden sollte, wie gute Fotos auszusehen haben, dann wird es nur noch gleich gute oder weniger gute Fotografen geben, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man das betrachtet.

    AntwortenLöschen

Bitte nach oben scrollen, um vorherige Kommentare zu lesen.

Neue Kommentare werden moderiert, um Spam und Werbung zu vermeiden. Deshalb kann es ein paar Stunden dauern, bis der Beitrag veröffentlicht wird. Vielen Dank für Ihr/Dein Verständnis.