Freitag, 13. November 2020

Fotografieren Sie nicht...

Neulich habe ich irgendwo die Empfehlung gelesen, dass man nicht im Hochformat fotografieren soll. Warum? Weil Bilder im Querformat eher unserer Sehweise entsprechen? Da ist was dran. Oder ist das Quadrat generell besser, weil man in den sozialen Medien und auf Galerie-Webseiten immer diese quadratischen Kacheln sieht? Das verändert unsere Sehgewohnheiten.

Verallgemeinerungen finde ich schwierig, darum wird es jetzt wieder ein etwas längerer Artikel. Haben Sie Zeit zum Lesen? 

Das quadratische Bild oben ist ein reduzierter Ausschnitt meiner Originalaufnahme, die ich ganz bewusst im Hochformat fotografiert hatte. Vergleichen Sie die beiden Versionen. Welche gefällt Ihnen besser?

25 mm | f2,8 | 1/125 s | ISO 125 | +1

Das Quadrat finde ich auch hübsch, es gibt aber nicht den Eindruck, die Bildidee, wieder, auf die es mir ankam. Im Quadrat fehlt der Himmel, der einen farblichen Kontrast bildet. Das Verhältnis der Farbtöne und der Helligkeit verschiebt sich, außerdem fehlt die unterste Stufe der langen Treppe. Dadurch wirkt sie kürzer und die gesamte Szene erscheint perspektivisch gerafft. Der Vorteil am Quadrat besteht darin, dass die störende Linie des Stromkabels verschwindet. Dieses Kabel hatte ich gesehen, aber beschlossen, dass es mich nicht stört. Das ist eine Frage des Geschmacks. 

Wenn Sie fotografieren, müssen Sie Entscheidungen treffen. Jede dieser Entscheidungen beeinflusst das Aussehen und die Wirkung Ihres Fotos. Die Frage nach dem Hoch- oder Querformat ist nur der Anfang.

Worauf kommt es Ihnen an? 

Oft kann man gar nicht so genau benennen, was man an einem Motiv so spannend findet. Dann erfolgt die Entscheidung für einen bestimmten Bildausschnitt oder die Bildausrichtung intuitiv. Hinterher stellt sich oft heraus, dass das Foto nicht das wiedergibt, was man vor Ort wahrgenommen hat. Es ist die wahrscheinlich schwierigste Sache am Fotografieren, sich darüber klar zu werden, was man gesehen hat, und wie sich das in ein wirkungsvolles Foto übersetzen lässt.

Über die technische Seite kann man immer gut diskutieren: Brennweite, Schärfe, Belichtung, Kontrast, Weißabgleich und dergleichen sind die "Zahlen, Daten, Fakten" der Fotografie. Die Bildwirkung, das Vermitteln von Inhalten und Stimmungen sind die "weichen Faktoren", die sich erheblich schwerer fassen und beschreiben lassen. Wenn Ihr Foto keine groben technischen Mängel aufweist, und Sie trotzdem unzufrieden sind, versuchen Sie herauszufinden, was Ihrem Foto inhaltlich fehlt. Ist es die Konzentration aufs Wesentliche, stimmt der Eindruck von räumlicher Tiefe? Das sind vorrangig Gestaltungsthemen.

Was fehlt?

"Stimmung" habe ich bei Bildbesprechungen oft als Antwort gehört. Das ist schon mal gut, aber viel zu allgemein. Welche Stimmung genau? Wollten Sie einen Eindruck von Weite oder Größe vermitteln? Das ist meist eine Frage von Proportionen, also den Größenverhältnissen einzelner Objekte im Bild, die Sie durch eine andere Brennweite oder eine andere Aufnahmeperspektive erzeugen könnten. Bei einer heiteren oder tristen Stimmung geht es eher um Helligkeit und Farben. 

Beim folgenden Motiv hatte ich schon bei der Aufnahme das fertig bearbeitete Bild "im Kopf":

25 mm | 1/250 s | f5,6 | ISO 125 | +1

Bearbeitung in Lightroom

Die Realität vor Ort lag wieder in der Mitte: Es war grau und neblig, aber die Szene war nicht so finster, wie sie von der Kamera im Gegenlicht umgesetzt wurde. Die Tiefen-Lichter-Korrektur und die nachträgliche Anpassung des Weißabgleichs sorgen dafür, dass die Helligkeit und die Farben so aussehen, wie ich es mir beim Fotografieren vorgestellt hatte. Außerdem dachte ich an den Ratschlag, dass ich meine Motive nicht im Hochformat fotografieren soll. Folglich habe ich es ausprobiert. Mir gefällt das Hochformat eindeutig besser, auch wenn es wieder ein Stromkabel im Motiv gibt.


Viele Motive kann man in verschiedenen Formaten fotografieren. Auf einem 16:9 Bildschirm, der sich nicht drehen lässt (TV-Gerät, Notebook) hat das Hochformat deutliche Nachteile, weil es nur einen kleinen Teil der Fläche füllt. Deshalb ist es beim Fotografieren sinnvoll, mehrere Optionen zu prüfen und gegebenenfalls ein Bild im Hoch- und eines im Querformat zu fotografieren, damit man für die spätere Präsentation das jeweils geeignetere auswählen kann.

In den letzten Jahren gibt es den Design-Trend im Internet, alle Fotos in der Vorschau automatisch auf ein quadratisches Format zurechtzutrimmen. Diese formale Einheitlichkeit wird nicht allen Motiven gerecht. Lassen Sie sich durch diese formalen Gegebenheiten trotzdem nicht in Ihrer Gestaltungsfreiheit einschränken.

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